: Was verschweigt das Kommuniqu ?
■ Nachlese zum Helsinki-Gipfel / Das magere Kommuniqu , in dem Saddam Hussein verurteilt wird, kann doch nicht alles gewesen sein, was die beiden Staatschefs in sieben Stunden ausgehandelt haben. Verträge ...
Nach siebenstündiger Diskussion — angeblich fast ausschließlich über Möglichkeiten zur politischen Lösung der Golfkrise — teilten Bush und Gorbatschow nur Altbekanntes mit. Entweder haben sie viel Zeit mit der Erörterung ihrer Differenzen verbracht, oder sie verheimlichen etwas.“
Der Kommentar der US-Kollegin kennzeichnete die geteilte Stimmung unter der internationalen Journalistenschar in der „Finnlandia-Halle“ von Helsinki am Sonntag abend nach der Abschlußpressekonferenz. Die einen hatten von vornherein nicht mit mehr gerechnet, die anderen äußerten den Verdacht, daß Bush und Gorbatschow sehr viel Weitergehendes diskutiert und vielleicht sogar vereinbart hatten, als sie auf der Pressekonferenz rausließen.
Zumal die beiden Präsidenten am Sonntag vormittag drei Stunden unter vier Augen, lediglich in Anwesenheit ihrer Dolmetscher und Protokollanten, über die Golfkrise gesprochen hatten. Gerade die Beharrlichkeit, mit der Bush und Gorbatschow sämtliche Journalistenfragen nach militärischen Optionen, nach der Aufstellung einer UNO-Truppe oder nach der Voraussetzung für die Entsendung sowjetischer Streitkräfte als „völlig hypothetisch“ zurückwiesen und behaupteten, sie hätten „nur über politische Lösungswege diskutiert“, machte viele BeobachterInnen skeptisch.
Den beiden Präsidenten gelang es auf diese Weise zumindest während des Gipfels, jede öffentliche Diskussion darüber, was passiert, wenn die Botschaft von Helsinki ohne Eindruck auf Saddam Hussein bleiben sollte, zu vermeiden. Diese Diskussion hätte unweigerlich die Differenzen bloßgelegt, die nach wie vor zwischen Washington und Moskau bestehen.
Die USA sind nach wie vor nicht willens, ihre am Golf aufmarschierten Truppen einem UNO-Oberkommando zu unterstellen. Die UdSSR ist aber nur unter dieser Bedingung bereit zur Entsendung eigener Streitkräfte in die Golf-Region. Wobei sich diese Bereitschaft nur auf die Verlegung von Kriegsschiffen bezieht, wie aus der Moskauer Delegation in Helsinki verlautete. Wegen des nach wie vor „starken Afghanistan-Syndroms“ in der sowjetischen Bevölkerung könne sich Gorbatschow eine Entsendung von Bodentruppen nicht leisten. Er müsse sonst mit „Demonstrationen aufgebrachter Soldatenmütter rechnen“.
Im Gegensatz zu Washington sieht Moskau gewisse Parallelen zwischen der irakischen Invasion Kuwaits und der Besetzung arabischer Territorien Israels. Nicht zuletzt darauf gründet sich der in Helsinki wiederholte sowjetische Vorschlag für eine internationale Nahostkonferenz zur Lösung aller Konflikte in dieser Region. Moskauer Diplomaten betonten allerdings, daß dabei nicht an eine „Verquickung der Probleme und ihre zeitgleiche, voneinander abhängige Lösung“ gedacht sei, wie dies Saddam Hussein am 12.August und erneut am letzten Samstag gefordert hatte. Die Sowjets wollen auf einer Nahostkonferenz zunächst eine Lösung der aktuellen Golfkrise verhandeln, danach den israelisch-palästinensischen Konflikt und schließlich das Libanon- Problem.
Die Differenz in dieser Frage klang auf der Pressekonferenz in Helsinki zumindest an, als Bush „jede Verbindung“ zwischen den verschiedenen Konflikten im Nahen Osten verneinte. Die Amerikaner sind auch nach wie vor gegen eine Nahostkonferenz.
Im gemeinsamenen Gipfelkommuniqué wurde diese Meinungsveschiedenheit durch einen klassischen Formelkompromiß überdeckt: „Aktive Bemühungen zur Lösung aller verbliebenen Problem im Nahen Osten sind wichtig“, heißt es da. Beide Seiten sollten sich „weiterhin gegenseitig konsultieren und Initiativen ergreifen, um dieses Ziel zu gegebener Zeit zu erreichen“.
Es ist anzunehmen, daß auch Saddam Hussein die Differenzen zwischen Washington und Moskau bewußt sind. Daher ist fraglich, ob die Helsinki-Demonstration der Einigkeit und Entschlossenheit ihn zu einer Änderung seiner bisherigen Position bewegen wird.
Entgegen der im Vorfeld vor allem in Washington geschürten Erwartungen kam es auch nicht zur Unterzeichnung von Wirtschaftsverträgen. Zwar befand sich eine hochkarätige US-Wirtschaftsdelegation unter Führung von Handelsminister Moosbacher am Wochenende in Helsinki. Doch zogen es beide Präsidenten aus jeweils unterschiedlichen Gründen vor, dem Golf-Gipfel nicht durch die Unterzeichnung bereits fertig ausgehandelter Geschäfte über die Lieferung amerikanischen Öl-Technologien im Austausch gegen sowjetisches Rohöl sowie über einen 2-Milliarden-Dollar-Kredit an Moskau für den Kauf amerikanischer Agrarprodukte zusätzliche Bedeutung zu verleihen.
Bush wollte — zumal angesichts der nach wie vor bestehenden Differenzen über Wege zur Lösung der Golfkrise und vor dem Hintergrund der durch die enormen Kosten für den militärischen Aufmarsch im Krisengebiet weiter verschärften Haushaltslage der USA — bei seinen Kritikern auf der Rechten den Eindruck vermeiden, er verteile Geschenke an Moskau.
„In dieser Frage haben wir unsere Haltung seit dem Wirtschaftsgipfel im Juli in Houston nicht verändert“, erklärte ein US-Diplomat. Und Außenminister Baker verwieß auf die nach wie vor ausstehende Verabschiedung der Ausreiseerleichterungen für sowjetische Juden durch das Parlament in Moskau.
Gorbatschow seinerseits wollte den Eindruck vermeiden, er gäbe politische Positionen im Tausch gegen wirtschaftliche Unterstützung auf. Auf der Pressekonferenz wies er entschieden „jede Verknüpfung“ zwischen Moskaus Haltungen in der Golfkrise und den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zurück. „Wir verkaufen unsere Positon nicht für Dollars“, hielt er Bush entgegen, der eine „Belohnung“ sowjetischer Kooperation in der Golfkrise mit wirtschaftlicher Hilfe an Moskau angedeutet hatte. Andreas Zumach, Helsinki
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