piwik no script img

Momper nennt Reagan »einen alten Freund«

■ Das Brandenburger Tor erlebt die Ex-Präsidenten Ronald Reagan und Daniel Ortega am gleichen Tag/Die einstigen Gegner verpaßten sich nur um Minuten/Springer-Verlag holte Reagan heim

Berlin. Fast hätten sich ihre Wagenkolonnen vor dem Brandenburger Tor ineinander verhakelt: die eine, mit dunkelgrauem Mercedes und viel Lalü-Lala im Schlepp, und die andere, bescheidenere, mit einem Autobus und zwei Polizei-Golfs vorne- und hintendran. In der einen wurde der einst mächtigste Mann der Welt durch die Stadt kutschiert, in der anderen sein einstiger Gegner. »Das ist der Daniel Ortega«, hat ein dabeistehender Tourist aufgeschnappt; »der Daniel Ortega aus Nikaragua« echote, wohl etwas zweifelnd, seine Begleiterin.

Geplant war das Beinahe-Zusammentreffen von Reagan und Ortega nicht, gewollt auch nicht, und einen brachte das sogar in Schwierigkeiten, den regierenden Bürgermeister nämlich. Er konnte Ortega, der auf Einladung der Sozialistischen Internationale durch die Bundesrepublik reist, nicht empfangen und schickte Bürgermeisterin Stahmer als Ersatz. Walter Momper saß stattdessen auf dem Podium der Kongreßhalle Seit' an Seit' mit Ronald Reagan, der vom Hause Springer nach Berlin eingeladen worden war und unter der Schirmherrschaft eines »Forums für Deutschland« eine Rede hielt. »Berlin freut sich, einen alten Freund der Stadt hier begrüßen zu können«, so Momper in seinen einleitenden Worten; dann erinnerte er den notorisch vergeßlichen Ex-Präsidenten an dessen prophetische Worte aus dem Juni 1987, gesprochen vor der Kulisse der Berliner Mauer: »Mister Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer ein!« Mit diesen Worten habe Reagan »den Anstoß gegeben und die Weltgeschichte ins Schwingen gebracht«. Vor allem habe er mit den Verträgen über die Abrüstung der atomaren Mittelstreckenraketen die Grundlagen für die neue Entspannung gelegt. »Ost und West bezeichnen nur noch Himmelsrichtungen und nicht ideologische Blöcke«, so Momper.

Reagan »nachdenklich stimmen« wollte hingegen Mompers östliche Hälfte Schwierzina, der eine gewisse »Wehmut« angesichts des Verschwindens der DDR eingestand und auf die Existenzängste und Ungewißheiten verwies, mit denen die BürgerInnen der DDR konfrontiert sind.

Reagan begann seine Rede mit einem Goethe-Zitat: »Mehr Licht!« habe der Dichter gefordert, und er behauptete im Verlauf seiner Rede, die BürgerInnen der DDR seien mit einem ähnlichen Bedürfnis im Herbst vergangenen Jahres auf die Straße gegangen. Nun sei die Mauer eine verblassende Erinnerung, ihre Bruchstücke seien über die ganze Welt verteilt und legten Zeugnis ab vom »Freiheitsdrang« der Menschen in der DDR. Sie hätten ihren Willen demonstriert, das marxistisch-leninistische System über Bord zu werfen und mit der Marktwirtschaft den Weg in die Zukunft zu gehen. Doch die Entwicklung der letzten Jahre wäre nicht ohne den Nachrüstungsbeschluß und das SDI-Programm, nicht ohne Helmut Schmidt und Helmut Kohl, freilich auch nicht ohne Michail Gorbatschow möglich gewesen. Reagan äußerte die Hoffnung, das vereinte Deutschland werde in Zukunft sowohl Partner im westlichen Bündnis als auch bei internationalen »Friedensmissionen« sein. Unter Applaus verließ Reagan das nostalgische Sechziger-Jahre-Ambiente der Kongreßhalle, um sich zum letztenmal einem — im Vergleich zu früheren Zeiten drastisch geschrumpften — Trupp jubelnder BerlinerInnen zu stellen. Proteste gab es diesmal keine — the times they are a'changing —, nur einen enttäuschten Knirps, der kein Autogramm von Ronnie abbekommen hatte. Bei Daniel Ortega hätte er mehr Glück gehabt: der kritzelte vor dem Brandenburger Tor wie ein Fußballstar... Stefan Schaaf

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen