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Eine Weltmacht verabschiedet sich

■ Moskau hat bei 4+2 fast alle Positionen aufgegeben und dafür nur noch Geld aus Bonn bekommen

Eigentlich hätten der zukünftige erste gesamtdeutsche Kanzler und sein Außenminister gestern — heimlich, versteht sich — ein Dankestelegramm an Saddam Hussein schicken müssen. Nicht für den Einmarsch in Kuwait als solches, sondern für den Zeitpunkt des Überfalls. Denn wie sonst hätte Kohl hoffen können, die „äußeren Aspekte der deutschen Vereinigung“ so problemlos über die Bühne bringen zu können, wenn nicht im Windschatten der Weltpolitik.

Wer in London und Paris fragt angesichts des „Hitlers in Bagdad“ noch kritisch nach der neuen Großmacht Deutschland, im Gegenteil. Ging vor wenigen Monaten noch die Angst um, die europäische Machtbalance könnte aus den Fugen geraten, schreien heute zum Teil dieselben Leute nach deutschen Soldaten am Golf. Eins jedenfalls steht fest: Falls in Paris oder London jemals über Alternativen zur Kohlschen Wiedervereinigungspolitik nachgedacht worden ist, ist diese Zeit längst vorbei.

Chronologie eines geordneten Rückzugs

Die eigentliche Sensation ist ja aber auch nicht die Entdeckung, daß ein Sturm im westeuropäischen Wasserglas tatsächlich ein Sturm im Wasserglas war. Die Musik kam schließlich aus dem Osten, und sie hörte sich an, von Monat zu Monat mehr, wie die Kapelle der untergehenden Titanic. Was in den Verhandlungen zwischen Bonn und der einstigen Siegermacht Sowjetunion deutlich wurde, war die Abdankung einer Weltmacht, die zuletzt nur noch nahm, was sie kriegen konnte. Da die Ereignisse sich in den ersten sechs Monaten dieses Jahres überstürzten, muß man dem politischen Kurzzeitgedächtnis auf die Sprünge helfen. Die sowjetische Deutschlandpolitik war über Jahre von einer Konstanten bestimmt: Ein vereinigtes Deutschland dürfe nur neutral sein, alles andere sei im Sinne der globalen Stabilität nicht zu akzeptieren. So war es nur logisch, daß Hans Modrow in seiner „Einig-Vaterland“-Rede, mit der die Hoffnung der damaligen DDR-Regierung auf eine eigenständige Existenz des Landes endgültig begraben wurde, in Absprache mit Moskau erneut die Neutralität für das zukünftige Gesamtdeutschland forderte. Doch die Einsicht, daß ein neutrales Deutschland nicht mehr als ein Zugeständnis an eine vergangene Epoche wäre, kam auch in Moskau ziemlich schnell.

Es ging, und geht noch, um die zukünftigen Strukturen europäischer Sicherheit, jenseits der Blockbildung aus der Zeit des Kalten Krieges. Letztlich wäre ein neutrales Deutschland dabei nur eine unkalkulierbare Größe gewesen und — soweit folgte man in Moskau der Argumentation der Nato — hätte damit weder der Sowjetunion noch dem Westen gedient. Für die westlichen Siegermächte war das Problem sehr einfach zu lösen: Deutschland solle in und unter der Kontrolle der Nato bleiben, damit seien auch die Interessen der Sowjetunion berücksichtigt. Die neue europäische Sicherheitsstruktur auf die einfachste Formel gebracht, lautet dann: Nato minus Warschauer Pakt.

Von diesem Zeitpunkt ab gab es eine unaufhaltsame Erosion der sowjetischen Position, ein Prozeß, in dessen Verlauf deutlich wurde, daß die einstige Weltmacht real nichts mehr in der Hand hat, womit sie ihre Interessen in Europa materiell durchsetzen könnte. Die Bundesregierung und allen voran Außenminister Genscher taten alles, diese für die KPdSU so bittere Erkenntnis möglichst lange zu verschleiern. Genschers Zauberformel hieß KSZE. Das europäische Gremium für Sicherheit und Zusammenarbeit sei die ideale Plattform, um neue blocküberwölbende Strukturen europäischer Sicherheit zu schaffen, in der sukzessive sowohl der Warschauer Pakt als auch die Nato aufgehen könnten.

Doch je schneller der Warschauer Pakt zerfiel, um so weniger waren die USA und Großbritannien bereit, die Nato zur Disposition zu stellen. Dabei machte die Sowjetunion Bush und Thatcher die Sache auch denkbar einfach: Statt überzeugender Gegenkonzepte, die in der öffentlichen Diskussion Wirkung hätten zeigen können, kamen aus Moskau nur nebulöse oder sich widersprechende Andeutungen. Deutschland, so ein Vorschlag, müsse für eine Übergangsfrist Bündnisverpflichtungen in beide Richtungen erfüllen. Da dieser Zwitter weder in der DDR noch in der BRD auf irgendeine Resonanz stieß, wurde er bald wieder fallengelassen. Letztlich leistete Gorbatschow den Offenbarungseid und beharrte lediglich auf „unumstößliche“ Garantien für die sowjetische Sicherheit, ohne auch nur zu benennen, wie diese eigentlich aussehen sollen.

In der innersowjetischen Diskussion machte Schewardnadse keinen Hehl mehr aus der eigenen Ohnmacht. Was bitte, fragte er seine konservativen Kritiker, ist denn die Alternative? Wie soll das Insistieren auf dem Besatzungsrecht aussehen? Sarkastisch hatte bereits zuvor der Außenminister der CSFR, Dienstbier, im Kreise des Warschauer Pakts die sowjetischen Generäle gefragt, was sie denn mit ihren Soldaten zwischen Elbe und Oder machen wollten, falls die DDR ihren Beitritt zur Bundesrepublik erkläre, ohne daß ein Vertrag vorliege. Für die qua Besatzungsrecht theoretische Möglichkeit, die Einsetzung eines Militärgouverneurs, mochte sich denn auch in der UdSSR höchstens noch eine verschwindend kleine konservative Minderheit engagieren.

Eine neue europäische Friedensordnung entfällt

Folglich blieb nur noch der geordnete Rückzug und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Um nicht völlig das Gesicht zu verlieren, griff Gorbatschow begierig nach den schwammingen Formulierungen des Londoner Nato- Gipfel-Kommuniqués vom Juli und sah darin ein „weites Entgegenkommen“. Spätestens seit diesem Zeitpunkt, ging es nicht mehr um die KSZE, ein Gremium dem die USA zutiefst skeptisch gegenüberstehen, sondern nur noch ums Geld. Die Vehemenz, mit der Gorbatschow noch bei seinem letzten Gipfelgespräch mit Bush darauf bestanden hat, daß die Sowjetunion nicht zu kaufen sei, machte überdeutlich, daß genau dies passierte. Da die Nato-Verbündeten noch nicht einmal bereit waren, den Sowjets ihre Besatzungsrechte abzukaufen, schickte Bonn allein die Milliarden nach Moskau. Jürgen Gottschlich

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