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Vagabundierende Kunst

■ Oder wie man das Huhn zum Topf trägt

Seit zwei Jahren gibt es in Berlin Traudl Bauschers innovatives Kunstvertriebsprojekt: die »Galerie unterm Arm«.

Ich habe sonst viel Vollblutmalerei ausgestellt, also weniger Grafisches. Gestern nun hat das grafische, das zeichnerische Element — auf eine intelligente Weise verarbeitet — hervorgestochen. Leute, die schon sehr viele Bilder haben, sind dann trotzdem bereit ... denn rein vom Format her, das muß ich schon noch erwähnen: das Format spielt doch oft eine Rolle. Die Wohnungen werden immer kleiner, und die Bilder werden immer größer. Und das paßt nicht zusammen. Das sage ich den Malern zwar, aber ich kann es ihnen natürlich nicht vorschreiben; nur, wenn sie leben wollen, dann müssen sie sich zwischendurch eben auch zu kleineren Formaten hinreißen lassen.«

Kunst, derart unprätentiös vermittelt, wirkt entkrampfend. Ich hieve den Brühkaffeebecher vor die Lippen und mutmaße, daß man darin durchaus ein, wenn auch sehr kleines, Kleinkind ertränken könnte. Die Privatwohnung der Galeristin offeriert durch die geöffnete Terrassentür das Schlachtensee-Panorama im mittleren Abschnitt. »Ein sanierter See«, erklärt Traudl Bauscher lachend. »Zwischenzeitlich war er so sauber, daß sich darin das rechte Leben nicht einstellen wollte. Aber nun haben sie wohl irgendeine Art von Gleichgewicht gefunden. Ich bade jedenfalls darin, sooft es meine Zeit zuläßt.« Ihr Garten zieht sich bis zur Uferpromenade hinunter. Aus einem Hühnergehege bekräht ein Hahn sein Gefolge. »Die gehören dem Vermieter«, sagt meine Gastgeberin, »aber die Eier darf ich essen.« Eine sonnenbeschienene, ruhige Wohnidylle. Einziges akustisches Ereignis sind die zahlreichen Explosionsgeräusche von weit jenseits des gegenüberliegenden Ufers, die vielleicht die Umzugsbereitschaft US-amerikanischer Bodenstreitkräfte signalisieren...

Bei einem Rundgang durch Traudl Bauschers Wohnung begegne ich jetztzeitiger Kunst der verschidensten Schulen im Ensemble mit Original-Klassikern des deutschen Expressionismus und eigenen Werken der Galeristin aus ihrer Zeit als Malerin. »Kommen Sie doch zu mir nach Hause, dann können Sie sehen, wie ich inmitten der Kunst wohne«, hatte sie am Telefon gesagt.

Kunstferne Kunstnähe

Aufmerksam gemacht hatte mich vor einigen Wochen ein halbprofessioneller Vernissagen-Wein-Verkoster. »Es gibt in Berlin eine Galeristin, die nennt ihr Unternehmen >Galerie unterm Arm<. Der Wein ist so schlecht wie auf jeder anderen Kunstfeierlichkeit auch, die Exponate entsprechen dem guten Geschmack eines beweglichen Mittelstandes. Das Besondere an dieser Galerie ist das Konzept. Man könnte es als vagabundierende Kunst bezeichnen: Traudl Bauscher, die Galeristin, arrangiert ihre Ausstellungen in kunstfernen Örtlichkeiten. In Anwaltskanzleien, Ingenieurbüros, bei Unternehmensberatern und Ärzten. Resultat ist ein Mehrfacheffekt: Der Unternehmer investiert kostenlos seine Räumlichkeiten und erhält dafür Image-Politur: er profiliert sich gegenüber seiner Kundschaft als kultivierter, kunstbeflissener Geschäftspartner. Zudem lernt er neue potentielle Kunden kennen, die die Galeristin aus ihrer umfangreichen Gäste- und Interessentenkartei zu den Ausstellungen einlädt. Der Galeristin ihrerseits werden aus dem Unternehmerumfeld neue kaufkräftige Konsumenten zugeführt. Und das Ganze als eher gesellige Erscheinung; Kunst ist hier im besten Sinne Transportmittel...«

»Kaffeefahrten für ein Klientel mit Sinn fürs Schöne?« frage ich, »nur das am Ende der Vorstellung keine Rheumadecken, sondern Neorealisten verkauft werden?«

»Nein, die Sache ist anders. Die Ausstellungen in Abständen von etwa sechs Wochen sind nur die Kontaktbörse. Es geht nicht um den schnellen Abschluß, sondern zuerst einmal um Beratung. Ist ein Ausstellungsbesucher an den präsentierten Arbeiten interessiert, wendet er sich an die Galeristin. Diese verabredet dann z.B. einen Hausbesuch. Mit Mappen voller fotografischer Reproduktionen besucht sie den Interessenten, berät ihn vor Ort bzw. Wand und verkauft dann vielleicht das entsprechende Original. Also eher eine Art Verkauf von Brockhaus-Enzyklopädien oder von Tupperware-Sets.«

Mein Faible für gesunde Geschäftsideen treibt mich wenig später zur Gesellschaft für Rechensysteme und Informationsverarbeitung mbH Bodo Fuhrmann. Die GRI »residiert« — die Gediegenheit der Räume legt diesen Begriff nahe — in der Geisbergstraße 38 und handelt mit Computersoftware. Eine Informationstafel, leger zwischen Bürostuhl und Schreibtisch geklemmt, unterrichtete mich über die Existenz des GRI- Produkts OASIS: »Informationen nach Netzveränderungen; Auswirkungen von Geschwindigkeitsempfehlungen; Auswirkungen von Baustellen; Auswirkungen von Verkehrsberuhigungsmaßnahmen«. Offensichtlich ist die GRI eine Auswirkung des Verkehrs- und Umweltschutzes und verkauft entsprechende Computerszenarien.

Doch nicht der Simulation eines Baustellenverkehrs, sondern der Inszenierung von Kunstkommerz gilt meine Aufmerksamkeit. Alle GRI- Accessoirs — Schreibtische, Beistelltischchen, Stühle, Kopierer, Computer, Laserdrucker etc. — sind dekorativ von den Wänden abgerückt: bei Fuhrmanns ist Vernissage. Die »Galerie unterm Arm« gibt sich die Ehre.

Ausstellungs- Verhüllungsdiskurs

»Das Schlimmste an New York ist, daß die Menschen dort nur über's Geld reden. Immer und überall«, bemerkt ein Endvierziger, der offensichtlich gerade einen transatlantischen Urlaub absolviert hat.

»Und was ist daran die Zumutung? Ist doch ein Thema, wie jedes andere. Auch die New Yorker reden halt am liebsten über das, was sie am liebsten haben wollen.«

»Ja, aber...«

»Was?«

»Es ist so ohne Inhalt, ohne Interesse an noch irgend etwas anderem.«

»Vielleicht liegt dieser Haltung die Vorstellung zugrunde, daß es jenseits des Anderen nichts gibt, was man nicht kaufen kann.«

Der Endvierziger dreht ab. Doch auch die Schaukunst ist nicht einfach. Die Exponate des Malers Massimo de Stefani.

Sorgfältige, um einen exakt aufgemessenen Mittelpunkt zentrierte Collage-Technik à la Max Ernst, durchsetzt im Sinne Man Rays und mit etwas Miro besänftigt. Oder um es einmal im allgemeinverständlichen Ausstellungsjargon zu sagen: Die von filigraner Eleganz geprägte grafische Malerei Massimo de Stefanis verblüfft gleich auf den ersten Blick durch ihre außerordentlich gezielte Ansprache. Diese auffallende Zugänglichkeit des Werkes insbesondere auf die eindringliche Bildtitelfindung zurückführen zu wollen, dazu verleiten suggestive Titel wie »La rêgle du jeu«, »The kingdom of heaven«, »L'éducation sentimentale« oder »Bye bye blackbird«. Sofort wähnt man sich vertraut mit dem, was sie benennen. Und zielstrebig weisen sich auch auf den eigentlichen Wirkungsfaktor der Arbeiten hin, nämlich auf ihren Charakter von Rätsel- oder Suchbildern, von orakelhaften Sinnbildern. Ihre Hauptattraktivität, die vertrauliche Mitteilung, wird durch den Einsatz einer nicht allzu komplizierten Symbolik erzeugt. Geometrische Figuren wie Kreis, Dreieck, Spirale und Ellipse spielen dabei eine ebenso gewichtige Rolle wie die vielfältige und geistreiche Verwendung metaphysischer Bildelemente wie Treppe, Herz, Wolke, Flamme, Pfeil, Tarotkarte etc., stabilisiert durch rätselhafte Zahlenanordnungen und das geschriebene Wort. Esoterik und Magie, von der kabbalistischen Zahlenmystik bis hin zu den Gefilden der Alchemie, sind bestimmender Hintergrund für die bildlichen Formulierungen eines bemerkenswerten Künstlers, usw.

Ungleich qualifizierter ist Wilhelm Gauger mit seiner Eröffnungsansprache beim kontextuellen Verständnis Stefanischer Kunst behilflich. Die enigmatische Eleganz der Bilder läßt ihn fragen, inwiefern die Beziehungen mathematischer Größen über die Formeln hinaus vielleicht einen eigenen Atem produzieren, der sich irgendwie mit demjenigen von Italo Calvino, Guido Ceronetti, Bioy Casares oder gar mit dem von Borges mischt. »Wissen Sie«, ruft mir eine Dame ins Ohr, während die Ausführungen des Festredners mit Applaus bedacht werden, »wissen Sie, schon wegen der Rede des Professors Gauger muß man die Vernissage besuchen. Es ist so sehr anders als das, was man sonst... wie soll ich es sagen?«

»Sie meinen, es handelt sich ausnahmsweise einmal nicht um eine Wiederaufbereitungsanlage für abgebrannte Adjektive«, schlage ich vor.

Ein Demokratiekatalysator

Sie strahlt mich besonders heftig an, da sich in dem Moment ein Fotograf und sein Blitzlicht um die Ablichtung unseres Gesprächs bemühen. Als der Mann noch ein zweites und ein drittes Bild von uns macht, friert meine Gesprächspartnerin ihr Lächeln einfach fest. Irgendwie scheinen wir plötzlich wichtig zu sein. Doch es geht beim Fotografieren so demokratisch zu wie auf einem Geburtstag: jeder kommt mal dran — und die Bilder in ein dickes Fotoalbum.

Daß solches Miteinander im semiprivaten Kreis gewünscht ist, manifestiert sich in den Besucherzahlen. »450 Plastikbecher habe ich heute abend verbraucht«, erklärt mir die nebenberufliche Bardame, die extra aus Münschen eingeflogen ist, um ihrer Galeristinnen-Schwester zur Hand zu gehen. »Einige trinken zwei Gläser, andere nichts. So werden zwischen 400 bis 500 Leute dagewesen sein.« Die tatsächliche Zahl der Anwesenden geht jedoch in die Millionen: Das ZDF hat ein Kamerateam geschickt, um den Daheimgebliebenen zu zeigen, daß Kunst mitnichten etwas Elitäres zu sein hat, sondern zur Steigerung der Daseinsqualität eines jeden beitragen kann.

Am Tag nach der Vernissage also der Besuch der Galeristin zu Hause mit Hühnern, See und Brühkaffee. »Eigene Galerieräume könnte ich mir gar nicht leisten, wollte ich auch gar nicht. Da hätte ich dann sitzen und warten müssen, bis jemand zur Tür hereinkommt. Ich muß aber etwas tun.«

Zick-Zack Kunst

Und etwas getan hat Traudl Bauscher schon ein halbes Leben lang: »Mein Lebensweg ist ein Zick-Zack. Ein Porzellanmaler holte mich mit 15 in sein Atelier. Danach ging ich nach München, wurde Werbegrafikerin. Doch das war mir zu eng. '73 ging ich nach Berlin. Studium an der HdK auf kleiner Matrikel, Begabtenabitur und nebenbei Geld verdienen als Modell auf der Modemesse — alles gleichzeitig. Dann Bildhauerei, Kunstgeschichte und Pädagogik studiert. Ohne Abschluß. Wozu brauche ich einen Abschluß als Bildhauer-Meisterschülerin?«

Die Odyssee endete im Hafen eines Zahnarztgatten. Bis sie auszog und mit ihrem Kind eine teure Wohnung fand, die finanziert sein wollte. »Ich war also auf der Suche nach einem neuen Beruf. Ich kannte viele Künstler und habe ein verläßliches Urteil. Schon früher habe ich, umsonst und aus Gefälligkeit, Bilderkäufe vermittelt. Warum also nicht mein Hobby zur Profession machen? Langsam schälte sich auch die Idee fürs Procedere heraus.«

Ständig wird unser Gespräch vom Telefon unterbrochen. Bis sie dann den Anrufbeantworter einschaltet und fortfährt: »Der Schritt zur ersten eigenen Ausstellung ergab sich, als ich Danièle Gau kennenlernte. Ich habe mir gesagt: Die Bilder dieser Frau müssen unbedingt an die Öffentlichkeit. Zur gleichen Zeit lernte ich eine Rechtsanwältin mit Kanzlei in der Uhlandstraße/Ecke Kurfürstendamm kennen. Und dort habe ich dann im Mai '88 die erste Ausstellung gemacht.«

Seitdem hat Traudl Bauscher insgesamt 13 Ausstellungen mit 30 Künstlern inszeniert. Die bildenden Künstler sind's zufrieden: sie sind nicht durch einen Beherrschungsvertrag gebunden und müssen nur etwa 30 Prozent der von ihr vermittelten Geschäftsabschlüsse abgeben: »Die Künstler sagen, daß ich die Galerie bin, die am meisten Bilder verkauft. Ich kann das nicht beurteilen, weil ich kaum noch andere Galerien kenne. Ich habe dafür einfach keine Zeit mehr.«

Zwischen Künstlern, Kunden und ausstellungswilligen Büroinhabern muß die Galeristin ihre immer knapper werdende Zeit geschickt aufteilen. »Ich bin jetzt natürlich verwöhnt. Daß heißt aber nicht, daß ich das Umherziehen aufgebe. In den nächsten Monaten mache ich eine Ausstellung im Hause eines süddeutschen Textilfabrikanten.« Schwellenängste gibt es bei der »Galerie unterm Arm« nicht. Inmitten des halbfamiliären Gewusels fühlt sich niemand draußen, so daß es nicht wundert, »wenn sich bei mir die Leute reintrauen. Ich habe ganz oft gehört: Wissen Sie, ich verstehe nichts davon. Ich habe den Leuten dann geraten, sich einfach hineinfallen zu lassen. Ein Bild mit dem man leben möchte, soll einen ansprechen. Und da dürfen sie ruhig einmal den Mut haben, ihre Emotionen zuzulassen.«

Und sie haben den Mut. Die Ärzte, Rechtsanwälte und sonstwie Selbständigen querdurch. Aber auch Angestellte des privaten und öffentlichen Dienstes »sind inzwischen richtige Sammler geworden. Vorher hatten sie vielleicht höchstens einen Druck an der Wand oder ein Bild von Oma und Opa. Ich frag mich, wie die so haben leben können. Inzwischen sind sie auf den Geschmack gekommen und trauen sich einfach etwas mehr. Und das sind eigentlich meine Kunden; nicht die, die in Düsseldorf oder Basel einkaufen.«

Werte und Aura

Warum auch sollte man sich als Kunde so weit hinausbewegen, wenn die Galerie zu einem hinein ins Private kommt. Vor Ort berät Traudl Bauscher, wie das gerade abbezahlte Haus nun wirkungsvoll mit Kunst geschmückt werden kann. Da müssen dann auch mal die Gardinen auf den Müll und die Wände in einer helleren Farbe gestrichen werden. »15 Bilder habe ich dann dorthin geschleppt und eigenhändig aufgehängt. Nach vier Wochen haben die Kunden sechs Bilder dabehalten. Bei anderen hängt die Kunst schon ein halbes Jahr. Die haben sich dann so dran gewöhnt, daß sie sie nicht mehr hergeben möchten. Ich schicke ihnen dann einfach die Rechnung.«

Doch derart unkonventionell geht es nicht nur in den größeren Größenordnungen zu. Wenn ein Bild gefällt, aber nicht gleich bezahlt werden kann, vereinbart Traudl Bauscher schriftlos auf Treu und Glauben eine Ratenzahlung. Und auch wenn sie beteuert, vom Kaufmännischen habe sie keine Ahnung — was ihre Kunden lieben, weiß sie sehr genau: gelegentlich nimmt sie die Interessenten mit in die Ateliers der Künstler oder organisiert Atelierfeste nach dem Motto »Künstler zum Anfassen«. Und auf den Wiederholungsausstellungen führt sie dem Kunden vor, daß die Bilder, die er für 3.500 DM bei ihr gekauft hat, mittlerweile für 8.000 bis 11.000 DM verkauft werden.

Der Kunst den Schrecken des Auratischen nehmen und im Ausgleich die Käufer mit einer Kunstanschaffungsaura versorgen. Kein schlechtes Päckchen, das die zeitgemäße Lebens-Kunst-Mittlerin da unterm Arm trägt. »Ab 40 bekommt man ein solches Interesse«, hatte ich einen Ausstellungsbesucher sagen hören. »Vorher hatte man andere Interessen. Und allmählich stellt man fest, daß sich das Augenmerk auf dauerhaftere Werte stützt.« Das mag wohl so sein.« Christel Ehlert-Weber

Galerie unterm Arm, Telefon: 8036406; Massimo de Stefani, bis 19. Oktober bei: GRI Bodo Fuhrmann, Geisbergstraße 38, di.-fr. 15-18 Uhr.

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