Mit der Bibel Mut zum Widerspruch

■ 850 Jahre St-Stephani Gemeinde / Ein Stück Bremer Stadtgeschichte

„Das Vorbild des Stephanus ist sehr hoch gesteckt. Aber es kann uns vielleicht helfen, unseren Versuch, in dieser Welt von heute, in dieser Stadt Bremen Christen zu sein auf das Wesentliche zu bringen: für die Schwächsten unter uns da zu sein, Konflikte nicht zu scheuen, den Mund aufzumachen, wo es nötig ist, auch wenn die Mächtigen mit den Zähnen knirschen.“ So beschreibt der Wahlbremer Heinrich Albertz, Pastor und Mitglied der St.Stephani Gemeinde Bremen im Vorwort des soeben erschienenen Buches „185 Jahre St.Stephani Gemeinde“, deren allgemeine Grundhaltung vor 185 Jahren und heute.

Erzählt wird die Geschichte einer Gemeinde, die es sich nie leicht gemacht hat, weil sie sich strenger als andere am Wort Gottes orientierte. In vielen Situationen, unter anderem in der Zeit des Nationalsozialismus, leitete sie ihren Einspruch und Widerstand direkt aus der Bibel ab.

Im Buch erfahren wir nicht nur das Schicksal einer Bremer Gemeinde, sondern zugleich ein Stück Stadtgeschichte. Das Interessante: Hier beschreiben Historiker, Pastoren aber auch eine Reihe von Zeitzeugen die verschiedenen Zeitabschnitte vom Mittelalter bis in die Neuzeit, über die Zeit des Nationalsozialismus und nach dem zweiten Weltkrieg. Widersprüche und Auseinandersetzungen werden dabei mit vielen bisher unbekannten Dokumenten und Fotos illustriert.

Begonnen hatte alles im Jahre 1139, als an „jenem Orte gemeinhin St.Stephansberg genannt“, die Bremer Bürger folgendes verkündeten: Sie würden für die „Erbauung einer Kirche“ zu Ehren des „seligen ersten Märtyrers“, Stephanus weder „Arbeit als auch Kosten, soviel ihr Vermögen zuließe“ scheuen. Hier wollten sie „fortan“ die Messe hören, ihre Kinder zur Taufe bringen und „von den Zeugnissen Gottes unterrichtet werden“. Dieses Bekenntnis, das der Erzbischof Adalberos Anfang des 12.Jahrhunderts niederschrieb, ist gleichzeitig die Gründungsurkunde der Stephanigemeinde, damals noch St.Willehad-Stephani Kapitel genannt. Zu dieser Zeit ahnte noch niemand, welch wechselhafte Geschichte den Mitgliedern bevorstand.

Zu ganz grundlegenden Auseinandersetzungen kam es z.B. Anfang des 18. Jahrhunderts, als sich in der Gemeinde der Pietismus durchsetzte. Diese protestantistische Bewegung, in England entstanden, richtete sich gegen die starre Hierarchie in der reformierten Kirche und das ständig Ringen um die vermeindlich „reine Lehre“. Den Pietisten war das Bibelstudium wichtiger, als der Streit um die einzig richtige Auffassung. Die Ortodoxen wiederum warfen ihren Gegnern vor, die Kirche spalten zu wollen. Erst nach zähen Auseinandersetzungen, bei denen die Prediger Undereycks und später Friedrich Adolf Lampe eine wichtige Rolle spielten, hatte der Pietismus entgültig gesiegt in der Stephanigemeinde.

Auch im Nationalsozialismus, so geht aus vielen Dokumenten hervor, hatte die Gemeinde Mut zum Widerspruch. Doch gab es keine Gegnerschaft von Anfang an. Noch 1933 begrüßte der Pastor primarius die „nationale Bewegung freudigen Herzens“ und ein Jahr nach der Machtergreifung sprach Pastor Rosenboom von der glücklichen Wendung in der Geschichte der Deutschen, dankte Gott dafür, daß er „uns in letzter Minute den Helfer sandte“. Andererseits entwickelten sich bereit 1933 kirchenpolitische Auseinandersetzungen, in denen auch Gemeindemitglieder gegen die Nationalsozialisten, deren Gewalt und Willkür protestierten. So halfen besonders Frauen, als man mit der Verfolgung und Demütigung von Juden begann. Eine der Widersprechenden, Maria Schröder, schrieb später über die Motive ihres Handelns: „...als Frau Abraham dann den Stern tragen mußte und ihre Schwägerin mir bei einer Gemeindeversammlung erzählte, wie sehr sie darunter litt, da mußte ich zu ihr gehen und ihr sagen, daß sie Gottes Wort weiter hören, daß sie also weiter in die Versammlung der Gemeinde kommen müsse.“ Birgit Ziegenhagen