: Prozeßlawine rollt auf Westjustiz zu
■ Ab 3. Oktober sind die Ostberliner Gerichte dicht, die Prozesse sollen danach von Westgerichten übernommen werden/ Aktenberge türmen sich/ Zivilprozesse landen schließlich auf langer Bank
Berlin. Überfordert sehen sich Westberliner Gerichte und Staatsanwälte bei der Bewältigung von Zivilklagen und Strafprozessen schon jetzt. Wenn ab dem 3. Oktober nun auch noch die Ostberliner Gerichte schließen, ist das Chaos perfekt. Bundesrecht und Berliner Landesrecht sind dann auch in Ost-Berlin gültig und sollen vorerst nur durch Westberliner Gerichte vertreten werden. »Wir versinken schon jetzt unter Aktenbergen. Mit den Ostberliner Verfahren zusätzlich ist das erst recht nicht mehr zu schaffen«, erklärte Clemens Maria Boehm, Sprecher der Berliner Staatsanwälte, gestern gegenüber der taz. Mehrere tausend Verfahren würden derzeit eingestellt, weil deren Bearbeitung nicht mehr zu bewältigen sei. Resultat: Zivilklagen landen auf der langen Bank. Berliner, die sich scheiden lassen oder vor Gericht um ihren Arbeitsplatz kämpfen wollen, müssen noch länger auf die Bearbeitung ihres Anliegens warten als ohnehin schon. Monatelang könnten Ostberliner ihre Rechte vor einem Gericht nicht wirksam vertreten, warnte gestern auch der Vorstandssprecher des DDR-Richterbundes, Dr. Jürgen Brüning. Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) will die gerichtlichen Zuständigkeiten per »Partnerschaftsmodell« zwischen den Bezirken regeln. Das Stadtbezirksgericht Pankow soll dann beispielsweise Außenstelle von Schöneberg werden.
Weniger katastrophal sieht deshalb Limbachs Pressesprecher Cornel Christoffel die Auswirkungen des gerichtlichen Zusammenschlusses. Lediglich 22 Verfahren zusätzlich würden auf jeden einzelnen Zivilrichter zukommen. Bei rund 700 zu bearbeitenden Fällen pro Jahr falle dies nicht gravierend ins Gewicht. Christoffel räumte jedoch ein, daß nach der Wiedervereinigung ein Anstieg der Zivilverfahren zu erwarten sei. Viele Ostberliner, so die Einschätzung westlicher Rechtsexperten, warten mit ihrer Klage, bis das DDR-Recht verschwunden ist. »Eine Mehrbelastung wird das unbestritten«, so Christoffel.
Die rund hundert arbeitslosen Richter in Ost-Berlin bekommen, wie berichtet, in den nächsten sechs Monaten ein sogenanntes Wartegeld. Der Westberliner Richterwahlausschuß werde prüfen, inwieweit jeder einzelne Richter durch Stasi- Verbindungen vorbelastet sei, erklärte der Justizpressesprecher. Qualifizierte Richter würden dann nach absolviertem Schulungsprogramm wieder eingestellt [könnte kotzen: post-nazi-richter läutern ex- stasi-richter. sezza]. Vom DDR- Richterbund wird diese Lösung scharf kritisiert. Um die Probleme an den Gerichten so gering wie möglich zu halten, hätten sie der Justizsenatorin jede Hilfe zugesagt, so der Vorstandssprecher. Jutta Limbach habe jedoch bisher nicht auf das Unterstützungsangebot geantwortet.
Als unverständlich bezeichnete der Westberliner Rechtsanwalt Klaus Eschen, daß in Berlin nicht dieselbe Regelung wie in den anderen Bundesländern gelte. Dort bleiben die Richter vorerst im Amt. Verfahren, die nach bundesdeutschem Recht bearbeitet werden müssen, werden in Kooperation mit der westlichen Staatsanwaltschaft gelöst. Christine Berger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen