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USA: Nach der Sparkassenkrise sind jetzt die Banken dran

Zwei Berichte des US-Kongresses weisen auf den alarmierenden Zustand der Einlagenversicherung und die konkursträchtigen Rezessionsgefahren hin Konkurrenz vor Sicherheit: Das finanzpolitische Laissez-faire der Reagan-Jahre fordert nun seinen Preis—weitere 21 Milliarden Dollar?  ■ Aus Washington Rolf Paasch

Noch hat die amerikanische Öffentlichkeit nicht ganz begriffen, um welche Größenordnung es sich handelt, wenn über die nächsten 30 Jahre bis zu einer Billion Dollar für die Rettung des bankrotten Sparkassensystems ausgegeben werden müssen — da läuten die Finanzexperten schon die nächsten Alarmglocken. Die staatliche Einlagenversicherung für Banken, die für Sparbeträge bis zu 100.000 Dollar bürgt, befindet sich nach einer am vergangenen Dienstag veröffentlichten Studie des zum US- Kongreß gehörenden General Accounting Office (GAO) in einem so schlechten Zustand, daß sie nicht einmal die Pleite einer einzigen großen Bank überleben dürfte.

Ein Rekordniveau an Bankenkonkursen nach dem Zusammenbruch des Immobilienmarktes, so erklärt die GAO-Studie die katastrophale Lage des Versicherungsfonds, haben bereits jetzt einen Großteil der Gelder verschluckt. Nur einen Tag später verkündete die Congressional Budget Office (CBO), daß die einsetzende Rezession in den nächsten drei Jahren 600 bis 700 Banken in den Konkurs treiben könnte. Und das könnte die Einlagenversicherung — nicht vorhandene — weitere 21 Milliarden Dollar kosten.

Nach den schlechten Erfahrungen mit den Krediten an die heimische Ölbranche, die notleidende Farmindustrie und die Dritte-Welt-Länder glaubten die Banken Mitte der 80er Jahre, einen goldenen Ausweg aus ihren Schwierigkeiten gefunden zu haben. Verlassen von den Industriekunden, die zu den attraktiven Sparkassen, den Savings and Loans (S&L), und den Investment-Fonds abgewandert waren, sahen sie im Einstieg in das Immobiliengeschäft ihre große Chance. Doch der Glaube an ewig steigende Grundstückspreise stellt sich jetzt mit dem Stillstand dieses Spekulationskarussells als kostspieliger Irrtum heraus. Nach Schätzungen der Consulting-Firma McKinsey machen die gefährdeten Bankenkredite heute zusammen 600 Milliarden Dollar aus, das zweieinhalbfache des Aktienkapitals und der Kreditversicherungsreserven der Geldinstitute. Die Kreditabschreibung der Banken hat sich mit jährlich 20 Milliarden Dollar im Vergleich zum Beginn dieses so vielversprechenden Jahrzehnts verfünffacht. Und wenn die staatlichen Verwalter der S&L-Pleite jetzt noch deren Konkursmasse von mehreren hunderttausend Grundstücken mit einem Nennwert von 20 Milliarden Dollar zum Verkauf auf den Markt bringen, dürfte dies die Situation der Banken weiter verschlechtern.

Schon heute gelten rund 1.000 der 12.600 kommerziellen Banken Amerikas als Probleminstitutionen. „Und dies zu Beginn einer Rezession“, so der Bankenexperte Ed Hill von der Universität Cleveland, „in die unsere Banken eigentlich mit einem Sicherheitspolster hineingehen sollten.“ Falls die Zahl der Pleitebanken 1990 — im dritten aufeinanderfolgenden Jahr — wieder die 200 übersteigen sollte, wird der Bankenfonds Ende diesen Jahres den Tiefstand seiner 57jährigen Geschichte erreichen. Zwar ist er mit seinen derzeit 11 Milliarden Dollar im Gegensatz zu seinem Pendant bei den Savings & Loans noch nicht völlig geplündert, mit 50 bis 60 Cents pro 100 Dollar an abgesicherten Einlagen liegt er jedoch bereits um mehr als die Hälfte unter dem von der Bankenaufsicht geforderten Niveau von 1,25 Dollar.

Diese neuen Alarmsignale aus dem Finanzsystem haben die gerade noch mit der Sanierung der Sparkassen beschäftigten Abgeordneten erneut aufgeschreckt. Fieberhaft arbeiten die verschiedenen Bankenausschüsse von Senat und Repräsentantenhaus in diesen Tagen an Vorlagen für die Reform der Einlagenversicherung, die sich bei der Kollektivpleite von rund 1.000 der 3.200 Sparkassen des Landes jetzt als so kostspielig erwiesen hat. Die Bush-Administration will ihre Reformvorschläge für das Finanzwesen jedoch erst im Frühjahr unterbreiten.

Die Bankenindustrie wehrt sich unterdessen bereits heftig gegen eine Heraufsetzung ihrer Prämienzahlungen in den staatlichen Versicherungsfonds. Stattdessen fordert sie sogar noch eine weitere Liberalisierung ihrer Aktivitäten — vor allem die Aufhebung der nur in den USA geltenden Trennung von Banken und Investmenthäusern —, um dadurch ihre internationale Wettbewerbstätigkeit zu verbessern.

Der Streit über Kontrolle und Kapitalausstattung des Bankensystems verhindert dabei erneut die längst überfällige Einsicht, daß die USA seit der letzten Rezession vor acht Jahren in jeder Hinsicht weit über ihre Verhältnisse gelebt haben. Wenn die kommende Rezession demnächst zu weiteren Zusammenbrüchen unterkapitalisierter Finanzinstitutionen führen wird, bezahlen die US-Bürger damit nur den Preis für die sträfliche Vernachlässigung staatlicher Kontrollen und die übertriebene Wettbewerbsorientierung der Geldhäuser. Eine Dekade nach der Reaganschen „Befreiung“ des Finanzwesens wird an der Krise des Systems staatlicher Kreditgarantien plötzlich deutlich, daß mehr Wettbewerb zwar gut für den Verbraucher, aber schlecht für die Bilanzen der Sparkassen und Banken war.

Vor allem die gerade so liberalisierungseuphorischen Finanzindustrien Europas mit ihren im EG- Maßstab noch jungen und unerprobten Kreditgarantiesystemen sollten sich diese Lehre zu Herzen nehmen, forderte ein Mitarbeiter des Senats- Bankenausschusses gegenüber der taz. Sonst könnten der Zusammenbruch des US-Sparkassensystems und die Bankenkonkurse leicht das Modell für die Krise der europäischen Finanzinstutionen von morgen sein.

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