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Die etwas andere Freizeit

■ »Parzelle, Laube, Kolonie« — eine Ausstellung im Heimatmuseum Wedding

Tritt man in den Ausstellungsraum, glaubt man sich zuerst in eine Laubenkolonie im Kleinformat verirrt zu haben. Eine bunte elektrische Illumination, die einen alten Kronleuchter entstellt, soll eine Feierabendidylle suggerieren, die bei einer Dokumentation über das Arbeiterleben um 1900 verfehlter nicht sein könnte. Fälschlicherweise entsteht der Eindruck jener Mischung aus Schultheiss, Kaninchenstall und Kohl, der das Bild heutiger Gartenkolonien prägt.

Die Ausstellungsdokumente bestätigen diesen ersten Eindruck zum Glück nicht. Ihre Zusammenstellung, die Horst W. Rohls 1988 für das Museum »Berliner Arbeiterleben um 1900« in Ost-Berlin besorgt hat, ist erfreulicherweise vollständig von der Berliner Geschichtswerkstatt übernommen worden. Hier stimmen die geschichtlichen Dimensionen. Herausgearbeitet werden vor allem zwei Faktoren, die die bedeutende Rolle der Kleingärten im sozialen Milieu der Jahrhundertwende erklären können: Soziale Not und das Bedürfnis nach einem Rückzug in eine private Naturidylle führen zwischen 1830 und 1930 zur schnellen Entstehung von Gartenkolonien.

Noch 1928 stellen Proletarier mit über 200.000 Mitgliedern die größte Gruppe unter den knapp eine halbe Million Kleingärtnern. In den Gärten hatten die Arbeiterfamilien die Möglichkeit, einen Teil ihrer Nahrungsmittel selbst zu erzeugen. Dadurch konnte die Differenz ausgeglichen werden, die zwischen den Kosten für den Grundbedarf einer Familie (etwa 30 Mark) und den Löhnen (etwa 24 Mark) lag. In Zeiten großer Zuwanderung in die Stadt wurden die Lauben häufig auch als Wohnort genutzt. Und in wirtschaftlich besseren Zeiten stellten sie immer noch einen der wenigen Fluchtpunkte vor den Fabriken und Mietskasernen der Stadt dar.

Im kulturellen Wechselverhältnis von Stadt und Land repräsentieren sie den Anteil der Arbeiter an der Rückwendung zur Natur, die allen Klassen um 1900 gemeinsam ist. Träumte das Bürgertum in seinen Villen von der Übernahme der feudalen Parkkultur, so suchte der Kleinbürger in seiner Wohnung am Stadtrand die grüne Berührung.

In den Details der Ausstellung zeigt sich, daß die Kleingärtner durchaus ein Bewußtsein von diesen Zusammenhängen hatten. Sie eigneten sich die feudalen Gärten und das grüne Umland, in das die Stadt mehr und mehr hineinwuchs, bewußt an. Man bevölkerte die Parkanlagen, und in den Kolonien wurde Vorträge über die Gartenkunst des 17. und 18. Jahrhunderts gehalten. Das Bewußtsein reichte noch über den eigenen Gartenzaun. Natur wird nicht einfach als traditionelles, »heiles« Bezugsfeld gesucht, sondern als kulturell neu zu gestaltender Lebensraum. Praktisch ist dies allerdings meistens gründlich mißlungen: Es entstanden so fürchterliche Dauerkolonien wie in Rehberge, die mehr an die Townships in Südafrika erinnern als an eine gelungene Aneignung der Natur.

Den Kolonien kommt sozialpolitisch eine disziplinierende Funktion zu. Vielerorts entstanden beispielsweise firmeneigene Wochenendkolonien. Berühmt wurde das umfassende Freizeitkonzept, das die chemische Reinigung und Färberei Spindler für ihre Mitarbeiter entwickelte. Von Fortbildungsschulen über Vergnügungs- und Rudervereine reichte es bis Kindergarten und Fabrikrestaurant. »Die Unternehmer glaubten, wer sich nach Feierabend und am Sonntag auf Garten und Laube konzentriert, hat weder Zeit noch Geld für Kneipe und Politik.« (Ausstellungskatalog). Im Umfeld der Gärten aber entstehen neue Probleme. Häufig wurden große Grundstücke von Spekulanten in der Erwartung, daß sie bald wertvolles Bauerwartungsland würden, billig gekauft und für hohe Pacht kurzfristig den Proletariern als Gartenparzellen überlassen. Die Behörden bekämpften diesen Wucher sogenannter Generalpächter und vergaben seit 1906 die Pacht direkt an die Gartenvereine.

Die sozialistischen Arbeiterorganisationen sahen in den Schreberidyllen die Gefahr einer Entpolitisierung ihrer Mitglieder. Ein polemischer Artikel von Stechert, Die Villen der Proletarier, agitiert gegen den Kult, der um den lächerlich kleinen Privatbesitz getrieben wird: »Die eigene Scholle« wird zum Lebensmittelpunkt, über den man wichtige Themen wie den eigenen Mangel an Wohnungen vergißt. Es kommt zu Unruhen, gerade »wenn auf die bisherigen Schrebergartenflächen große Wohnhäuser gebaut werden« sollen.

Das soziale Elend aber war so groß, daß es damals zu keiner Verherrlichung der eigenen Scholle mit Fahne, Stacheldraht und Schäferhund kam, die heute das Bild einiger Kolonien bestimmt. Kommunistische Lebensformen schien vielen mit dem Schrebergarten vereinbar. So wurde die Kolonie Erpetal von den Rechten gerne als »Klein-Moskau« beschimpft. In den Bezirksleitungen der Gartenvereine aber herrschte ein anderer Geist. In Lichtenberg denunziert der Vorstand viele linke Kolonisten an die Gestapo.

Mit Beginn des Nationalsozialismus endet die Ausstellung. Dieser richtig gesetzten Zäsur zum Trotz versucht die Berliner Geschichtswerkstatt im Mobilen Museum, das in diesen Tagen vor der Tür des Museum eingeparkt hat, noch einen Einblick in die Nachkriegsgeschichte der Schrebergärten zu geben. Sie erreicht nicht viel. Einiges Fotomaterial, im besten Fall mit leicht ironischen Kommentaren versehen, ist ohne ein wirkliches Konzept aneinandergereiht. Das Thema Kleingarten hat nach 1933 wie so viele Elemente politischer Kultur seinen historischen Kontext verloren. Thomas Schröder

Die Ausstellung ist bis zum 31.10. im Heimatmuseum Wedding, Pankstraße 47, Berlin 65 von 12 bis 18 Uhr (So. 11 bis 17 Uhr) zu sehen; das Mobile Museum (Mi. bis So. von 14 bis 18 Uhr) bis zum 1.10. am Munsterdamm in Schöneberg, danach bis zum 15.10. in Treptow, Ecke Kiefernstraße/Damanweg.

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