Bienen und Schmetterlinge

■ Aufklärung mit der Ludwig-Erhard-Stiftung im Palast der Republik

Du, Papi, wo kommen denn die kleinen Kinder her?« — »Ähem, mein Kind, schau mal, es ist so: Zwei kleine, gelb- schwarz gekringelte Bienchen haben sich lieb ...« — das ist Didaktik im richtigen Sinn. Anhand von einfachen Beispielen veranschaulichen wir einen Sachverhalt, steigern dann langsam den Grad an Schwierigkeit, in diesem Fall von der Biene über den Grottenmolch zum Nasenbär, der dem Menschen sehr ähnlich kommt, weil er auch Honig mag, weshalb wir den Menschen als solchen vernachlässigen können. Schließlich müßte auch so mittlerweile klar sein, wie die Sache läuft.

Nun ist es mit der Wirtschaft genauso wie mit der Sexualität. Es gibt in diesem Zusammenhang bestimmte schmutzige Dinge, die wir besser gar nicht in den Mund nehmen. Da fragt etwa die kleine Kati in Pankow: »Mami, warum gehst du morgens nicht mehr zur Arbeit?« Und anstatt zu antworten: »Mami ist arbeitslos«, sagen wir mit der Ludwig-Erhard- Stiftung: Freiheit hat ihren Preis!

»Du, was ist ein Preis?« — »Ähem, mein Kind, schau mal: Es gibt Lutscher für 10 Pennig und für 50 Pfennig, aber wenn jetzt alle Kinder nur noch Lutscher für 10 Pfennig kaufen, dann muß die Fabrik mit den teueren Lutschern entweder pleite machen oder auch 10-Pfennig-Lutscher in die Kaufhalle legen. Im letzten Fall gibt es plötzlich zu viele Lutscher für 10 Pfennig, deshalb kriegst du für deinen Groschen plötzlich zwei Lutscher, weil sie sonst nicht loszuschlagen wären. Der Preis macht dich zur Chefin über die ganze Wirtschaft.«

»Toll«, sagt Kati und findet das prima, aus ihr ist im Handumdrehen eine glühende Verehrerin von Ludwig Erhard geworden. Nur ihre Mutter zahlt noch immer den Preis der Freiheit. Bevor Frau Penzke jedoch allzusehr ins Grübeln gerät, gehen wir mit ihr in den Palast der Republik zur Ausstellung Wohlstand für alle: »Auf großformatigen Tafeln werden alle Fragen, die den verunsicherten DDR-Bürger nach Einführung der Sozialen Marktwirtschaft bewegen, mit Zitaten Ludwig Erhards beantwortet.«

Ach ja, Fragen gäbe es da zuhauf: Wo bekommt man Kredite, um eine Imbißbude aufzumachen? Wie werde ich das durchgerostete Opel-Monster wieder los, das ich mir habe aufschwatzen lassen? Was wird aus der Wohnungsmiete, wenn das Haus an eine private Gesellschaft verkauft wird?

Gemach, gemach, gute Frau Penzke, sagen wir da mit der Ludwig- Erhard-Stiftung, sehen sie sich doch einfach mal »seine posthumen Ratschläge« an, vielleicht hier, die Tafel 1: »Wie kann es in der DDR zum erhofften Aufschwung kommen?« Antwort: »Der wirtschaftliche Aufschwung kann nur aus der Leistung der Wirtschaft selbst kommen.« (Ludwig Erhard, 1957).

Waas, Frau Penzke, das erinnert Sie an die Transparente, die früher an ihrem Arbeitsplatz hingen? »Die Lehre von Marx ist richtig, weil sie wahr ist«? Also wir bitten doch, das ist doch etwas völlig anderes! Allgemeines Geschwafel, sagen Sie? Das hilft Ihnen auch nicht weiter? Na, dann kommen Sie mal hier rüber, Sie hatten doch Bedenken ihrer Miete wegen. »Was bedeutet Soziale Markwirtschaft für unsere Wohnungen?« Antwort: »Wir haben den Wohnungsbau nicht nur als eine soziale oder wirtschaftliche Aufgabe aufgefaßt, sondern vor allem als eine ethische Aufgabe.« (Ludwig Erhard, 1965).

Nein, Frau Penzke, ihre genaue Miethöhe können wir Ihnen nicht sagen! Hier, nehmen Sie bitte unsere »Gratisbroschüre, in der dieser innerdeutsche Informations-Transfer vertieft wird«. Sehen Sie, es geht uns doch hier nicht um Detailfragen. Wir wollen Ihnen Hoffnung machen, »ermutigende Prognosen mit auf den Weg geben«. Sie sollen glauben. Doch, ja, Wirtschaft hat sehr viel mit glauben zu tun, mit erwarten. Sehen Sie: Wenn heute Präsident Bush erschossen wird, was wir nicht hoffen wollen, was denken Sie, was da an der Börse los ist?

Na schön, Frau Penzke, Sie wollen nicht an die Börse. Aber nun seien Sie mal nicht undankbar. Haben wir uns keine Mühe gegeben? Sind die Schautafeln nicht in diesem Ihnen so vertrauten Rot gehalten? Freuen Sie sich mit uns an der Symbolik dieser Veranstaltung. Da draußen, auf dem Marx- Engels-Platz, sitzt dieser Kerl mit dem Rauschebart in Bronze, und wir lassen hier in der ehemaligen Volkskammer den Mann mit der Zigarre wieder auferstehen!

Sie hätten am Montag dasein sollen, bei der Eröffnung, Frau Penzke. Elmar Pieroth ist gekommen, um die einleitenden Worte zu sprechen, ganz auf den letzten Drücker. Verstehen Sie, Zeit ist Geld! Und natürlich gab es auch nicht die üblichen Häppchen wie bei einer gewöhnlichen Vernissage. Wir müssen den Gürtel enger schnallen!, verstehen Sie, Frau Penzke, nichts ist geschenkt, alles muß hart erarbeitet werden. Es geht uns darum, die frohe Botschaft zu verkünden: Alles wird gut!

Hier, kommen Sie doch mal rüber, Sie wollen doch einen Imbiß aufmachen: »Der selbständige kleine und mittlere Untrernehmer ist dem Großbetrieb durchaus nicht unterlegen, wenn er nur im Wettbewerb gleicher Startbedingungen sicher sein kann.« Na, Frau Penzke?

Waas, die Startbedingungen sind nicht gleich, finden Sie, die HO- Märkte hätten nicht an Kaiser's verkauft werden dürfen, das sei damit ein Monopolist, und Ludwig Erhard hätte das nie und nimmer geduldet?

Na, dann kommen Sie mal zur Tafel »Wettbewerb/Kartell«: »Nicht der Staat hat darüber zu entscheiden, wer im Markt obsiegen soll, aber auch nicht eine unternehmerische Organisation wie ein Kartell, sondern ausschließlich der Verbraucher.« Also Sie, Frau Penzke! Und die kleine Kati! Niemand kann Ihnen doch befehlen, daß Sie die Lutscher bei Kaiser's kaufen. Gehen Sie ganz einfach in einen anderen Laden, und warten Sie mal ab, was dann passiert!

Ihre Mitbürger haben das doch begriffen. Der Herr Schulz vom Allensbacher Institut für Demoskopie hat herausgefunden, und dies bei der Ausstellungseröffnung auch in deutliche Worte gefaßt, daß »trotz der schmerzlichen Erfahrung wachsender Arbeitslosigkeit und steigender Preise« heute nur fünf Prozent gegen das Wirtschaftssystem von Ludwig Erhard sind. Fünf Prozent, Frau Penzke, die kommen ja kaum ins Parlament. Und obwohl 54 Prozent der DDR-Bürger befürchten, arbeitslos zu werden, sagen sie ja! zur sozialen Marktwirtschaft.

Sehen Sie, Frau Penzke, und zur Förderung dieser Einstellung machen wir von der Ludwig-Erhard- Stiftung diese Ausstellung. Hoffnung, Vertrauen!, spätestens Ihre kleine Kati wird es einmal besser haben. Herr Thömmes

Wohlstand für alle, Palast der Republik, Foyer Spreeseite; bis 25.9.