: Verbrechen unter der Silbertanne
■ »Nick Knattertons Abenteuer« nach 31einhalb Jahren im Sputnik-Kino
Im endlosen Meer der schönen Illusionen nahm das Kino von Anfang an einen besonderen Platz ein. Das Schicksal des Kinos war die Lüge. In Form der gigantischen kollektiven Verdrängungsleistung, die das Wirtschaftswunder voranbrachte, verrichtete das Lügenschicksal in den westdeutschen 50ern tadellose Arbeit. Regisseure wie Geza von Cziffra, Hans Deppe, Harald Reinl oder Arthur Maria Rabenalt überschwemmten das dankbare Publikum mit den immergleichen Heimat- und Familiengeschichten. Das geschlagene Volk suchte Trost und Vergessen in der Silbertanne. Auf der Leinwand wimmelte es von kantigen, aber gutmütigen Jungförstern und heiratswilligen Mädchen, die auf der grünen Heide oder den hohen Bergen standen, um liebesselig den Blick über den wunderbaren deutschen Lebensraum schweifen zu lassen. Das höchste Verbrechen in dieser makellosen Leidenschaft war naturgemäß der Hirschmord. Wilderer waren im Land des staatlich organisierten Verbrechens nicht gern gesehen.
Gleich hinter der Kardinalsünde »Blattschuß zuungunsten eines Zwölfenders« rangierten Verfehlungen wie Arbeitsunlust, Unordnung im Haushalt und mutterlose Familie. Eine lächerliche Ansammlung von Verbrechen in einem Land, dessen Mehrheitsbewohner zwölf Jahre lang nichts anderes im Sinn hatten, als ihre kriminelle Energie erfolgreich in die Tat umzusetzen. Kurz nach Abschluß dieser Ära hatten die Deutschen im Westen beschlossen, von Verbrechen in keiner Weise etwas hören zu wollen. Der Kriminalfilm hatte im ersten BRD-Jahrzehnt keine Chance, obwohl er in Deutschland mit Fritz Lang und Dr. Mabuse seinen Anfang genommen hatte.
Man mußte sich schon eine Menge Tricks einfallen lassen, um einen Film über ein handfestes Verbrechen auf die Leinwand zu bringen. Die Lösung hieß Nick Knattertons Abenteuer und wurde 1958 gedreht. Der Detektiv war ein Comicserienheld aus der Zeitschrift 'Quick‘. Sein Erfinder hieß Manfred Schmidt. In der 'FAZ‘ vom 17.1.1959 erläutert Manfred Schmidt anläßlich der Filmpremierenfeier, daß Nick Knatterton »als Protest gegen die Comic strips« entstanden sei, durch die »Übertreibung der Übertreibung«. Nick-Knatterton-Abenteuer waren humorige Geschichten rund ums Verbrechen, in denen lauter Witzfiguren herumliefen. Diese Art der Behandlung von Verbrechen konnte man in Deutschland akzeptieren. Ein erster Schritt in die richtige Richtung war getan, um so etwas Ähnliches wie einen Kriminalfilm in die deutschen Kinos zu bringen. Kurze Zeit später schlug auf musikalischem Gebiet das Hazy-Osterwald-Sextett dieselbe Richtung ein, indem es den Kriminal-Tango schuf, der drei Wochen lang den ersten Platz in der deutschen Hitparade des Jahres 1959 belegte.
Im zweiten Schritt wurde per Namensgebung ein wenig amerikanisches Flair in die Geschichte (»story«) gebracht. Die Gansterchefin hieß Virginia Peng, die Millionärstochter Gloria Nylon (und eben nicht Perlon) und der Kriminalreporter Eddie. Diese zaghaften Ansätze, das Verbrechen im Ausland anzusiedeln, wurden dann zwei Jahre später mit dem Beginn der Edgar-Wallace- Verfilmungen konsequent verwirklicht. Bei Nick Knatterton überwiegt aber noch das deutsche Element (besonders im Polizei- und Adelsbereich).
Den dritten Schritt tat schließlich Hans Quest, der aus den gezeichneten Knatterton-Geschichten einen Spielfilm mit richtigen Schauspielern machte, womit er sich als früher Vorläufer von Warren Beattys »Dick Tracy« erweist. Hans Quest war von 1955 bis 1961 als Regisseur tätig. In diesen sechs Jahren brachte er es auf 15 Spielfilme, unter anderem Charleys Tante, Wenn der Vater mit dem Sohne, Kindermädchen für Papa gesucht, Die Lindenwirtin vom Donaustrand. Nick Knattertons Abenteuer war sein zwölftes Werk. Schnell abgedreht, schnell zusammenmontiert und schnell erzählt: Die Gangster um Chefin Virginia entführen die Millionärstochter Gloria Nylon wg. Lösegeld. Nick Knatterton (Glatzkopf und Geiernase Karl Lieffen) tuckert mit seinem Außenborder durch die städtische Kanalisation, spürt die Gangster in ihrer Stammkneipe auf und boxt die Entführte raus. Währenddessen verbreitet Gert Fröbe allerlei Unsinn, versucht Maria Sebaldt (heute Die Wicherts von nebenan) als Virginia verrucht aus dem Dekolleté zu gucken, sticheln Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller in der politischen und sonstigen Landschaft herum und absolviert Günther »Hertie« Pfitzmann einen seiner gefürchteten Auftritte als Urberliner Dummschnauze.
Das alles kommt ziemlich überdreht und blöd daher und ist also ein wahrhafter Comicfilm. Gleichzeitig ist es die radikale Verhackstückung der späteren Edgar-Wallace-Filmpest. Einen anständigen Kriminalfilm hatte die BRD damit natürlich immer noch nicht und hat ihn bis heute nicht (von drei Zufallstreffern mal abgesehen). Wie auch immer: Im Soundtrack des Lebens nehmen Nick Knattertons Abenteuer einen denkwürdigen Platz ein. Paul
Nick Knattertons Abenteuer (1958); Regie: Hans Quest; nach einer Idee von Manfred Schmidt. Mit Karl Lieffen, Susanne Cramer, Maria Sebaldt, Gert Fröbe, Wolfgang Müller, Wolfgang Neuss. Ab heute im Sputnik Nord um 21 Uhr 30 plus Do. bis So. um 13 Uhr 30.
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