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Das Kino und die Filmbewerter

■ X-Rating für Peter Kaufman, kein Prädikat für Harun Farocki

Zahlreiche Filmemacher protestierten auf der Biennale in Venedig gegen die Behandlung von Peter Kaufmans neuem Film Henry and June in den USA. Die Verfilmung der Liebesgeschichte zwischen Henry Miller und Anais Nin nach den autobiographischen Romanen Millers und den Tagebüchern Nins enthält zwar keine einzige obszöne oder wenigstens wirklich aufregende erotische Szene — im Gegenteil, meist schläft man mit brav über die Hüfte gezogener Bettdekce miteinander —, trotzdem bekam sie von den amerikanischen Filmbewertern ein X. X-Rating bedeutet in den USA, daß der Film wie klassische Pornofilme erst ab 18 erlaubt ist, wehshalb ihn viele Kinos und auch große Kinoketten nicht ins Programm nehmen. Normalerweise schneiden die Filmemacher ihre Streifen dann zurecht, damit sie ein R bekommen, aber Kaufman ist dazu nicht bereit. Er hat nun Berufung eingelegt, am 3. Oktober wird die Berufungsstelle endgültig über das X entscheiden. Die venezianische Protestnote, die u.a. von den diesjährigen Löwen-Gewinnern unterzeichnet ist, haben außerdem viele namhafte Filmkritiker und auch Produzenten unterschrieben. Auch wird eine grundsätzliche Änderung der Praxis des X-Rating gefordert.

Einen ähnlich, wenn auch weniger spektakulären Zensurfall gibt es derzeit auch in der Bundesrepublik. Leben-BRD, dem Dokumentaressay von Harun Farocki wurde auch im Widerspruchsverfahren ein Prädikat der Filmbewertungsstelle Wiesbaden verweigert. Dieses Prädikat ist aber notwendig, um Gelder für die Verleihförderung zu bekommen. Bei kleinen und unabhängigen Filmen entscheidet das Prädikat daher oft darüber, ob sie überhaupt in mehr als nur einem Kino zu sehen sind.

Im Gutachten der Filmbewertungsstelle heißt es: Es entsteht „der Eindruck einer absoluten Künstlichkeit des Lebens, eines unterstellten „Lebens als Simulation“, das seiner Unmittelbarkeit entbehrt und das Interesse des Zuschauers erlahmen läßt“. Weiter ist vom „Durcheinander- und Zusammenschnitt von verschiedenen Handlungsabläufen“ die Rede, das als Gestaltungsprinzip ausgegeben werde. Der Filmwissenschaftler Enno Patalas schreibt dazu in einer Stellungnahme, das Gutachten verrate „seine Befangenheit in einer Realismusideologie, die spätestens durch das Fernsehen ad absurdum geführt worden ist“. Übrigens fand die Filmbewertungsstelle vor nicht allzu langer Zeit selbst Rocky eines Prädikats für würdig. taz

Das Berliner Arsenal zeigt „Leben- BRD“ a, 21.,22., 23.9. jeweils um 22.15 und am 26. und 27. um 20 Uhr.

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