: „Was nicht mehr kostet als Chappy, ist auch nicht besser“
■ Interview mit dem grünen Europa-Abgeordneten und westfälischen Öko-Bauern Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf INTERVIEW
taz: Trotz erwarteter Rekordernten ist die EG- Landwirtschaftspolitik zwei Jahre nach den von der EG als „historisch“ bezeichneten Reformen wieder in der Krise. Bauernaufstände in Frankreich, Massenpleiten in Irland. Wie ist es dazu gekommen?
Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf: Diese „Reformen“ waren nichts anderes als eine Fortsetzung der traditionellen EG-Agrarpolitik mit verschärften Mitteln. Eigentlich ging es darum, den EG-Agrarhaushalt zu sanieren. Denn in der EG werden mehr landwirtschaftliche Produkte angebaut als konsumiert. Die Überschüsse müssen also auf den verhältnismäßig niedrigen Weltmarktpreis heruntersubventioniert werden, um exportiert werden zu können. Weil diese enormen Subventionskosten den EG-Haushalt zu stark belasten, sollte vor allem die Getreideproduktion verringert werden. Denn das Getreide dient als Maßstab, nach dem sich die Preise aller anderen landwirtschaftlichen Produkte richten. Deshalb wurde eine Obergrenze für Getreide eingeführt: Werden über 160 Millionen Tonnen geerntet, geht der Preis automatisch jedes Jahr um drei Prozent zurück. Diese administrative Preissenkungspolitik führt dazu, daß immer mehr Betriebe, auch Großbetriebe, in Einkommensschwierigkeiten geraten. In der EG gehen jedes Jahr 200.000 bis 250.000 Betriebe pleite. Um diesem Schicksal zu entgehen, intensivieren die Bauern noch stärker chemisch. Resultat: Trotz der Flächenstillegung werden diese 160 Millionen Tonnen jährlich erreicht. Die „Reform“ ist also weder ein Beitrag zu Verringerung der Getreideproduktion noch zum Umweltschutz.
Um die Überschüsse abzubauen, will die EG-Kommission jetzt die Nutzung von Getreide als Futtermittel subventionieren.
Ja, wir haben das Problem, daß in der EG das Getreide als Futtermittel für Kühe und Schweine fast vollständig verschwunden ist. Statt dessen führt die EG jährlich 50 Millionen Tonnen Futtermittel ein und 30 Millionen Getreide aus. Die importierten Futtermittel sind Substitute (z. B. Maiskleber), die zu 50 Prozent aus der Dritten Welt kommen, was dort das Hungerproblem verschärft, weil die Flächen, auf denen die Substitute angebaut werden, für die Grundversorgung dringend gebraucht würden. Und hier führt es dazu — weil es so billig angeboten wird —, daß das Getreide immer weniger als Futtermittel benutzt wird. Das gleiche passiert jetzt auch in der DDR.
Ist die Agraropposition für oder gegen die Subventionierung?
Der Druck, der jetzt zu dieser EG-Richtlinie geführt hat, eine Verfütterung zu subventionieren, kommt von der Agraropposition und den Grünen. Denn die Verfütterung von Getreide ist ernährungsphysiologisch für die Schweine günstiger. Bei Substitutsverfütterung müssen zusätzlich Masthilfsstoffe (Antibiotika) eingesetzt werden, um die gleiche Leistung zu erzielen. Nach unserer Vorstellung sollte allerdings festgelegt werden, daß mindestens 50 Prozent Getreide im Viehfutter enthalten sein muß. Stattdessen gibt die EG-Kommission nun wieder Subventionen auf Getreide, wenn es verfüttert wird, damit es mit den Substituten konkurrieren kann. Dies führt wiederum dazu, daß die Substitute auch im Preis nach unten gedrückt werden, und die Länder in der Dritten Welt dafür noch weniger bekommen.
Der Landwirtschaftskommissar MacSherry hat letzte Woche verkündet, daß die alternativen Bauern nicht diskriminiert werden. Deshalb sieht er auch keinen Grund sie zu subventionieren...
Der biologische Anbau hat sich bisher ohne jegliche Förderung entwickelt. Allerdings produzieren noch nicht einmal ein Prozent aller Betriebe biologisch, obwohl ihre Zahl in letzter Zeit zugenommen hat. An dieser Landwirtschaft ist jedoch nichts zu verdienen, während die kleine radikale Minderheit von Großgenossenschaften, Banken, Chemie-Industrie und Im- & Exportfirmen am Zerstörungprozeß der gewachsenen bäuerlichen Wirtschaftsweise Milliarden kassiert. Sie hat großen Einfluß auf die EG-Kommission. So erklärt sich auch die Äußerung von MacSharry.
Wie wollt ihr die biologische Landwirtschaft fördern?
Wir wollen nicht, daß der biologische Landbau subventioniert wird, sondern daß der Umstieg erleichtert wird. Im Endeffekt muß aber der Preis für biologisch angebaute Produkte angehoben werden. Was nicht mehr kostet als Chappy, ist auch nicht besser. Und wenn man den höheren Preisen die Ausgaben für ernährungsbedingte Krankheiten und die Milliardenbeträge gegenüberstellt, die die jetzige Agrarproduktion kostet, dann stellt man fest, daß die biologische Landwirtschaft volkswirtschaftlich billiger kommt und ökologisch sinnvoll ist. Interview: Michael Bullard
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen