: Mit Fingerspitzengefühl
■ Abrüstungsausschuß warnt vor Ressentiments gegen Sowjetarmee
Berlin (taz) — „Zusammenleben mit den sowjetischen Truppen“ — eher unerheblich klang das vorletzte Thema des Volkskammerausschusses für Abrüstung und Verteidigung. Anlaß: sich häufende Berichte zu übergriffen auf Rotarmisten, Schwarzmarktgeschäften vor Kasernen, Protesten gegen den Fluglärm sowjetischer Militärjets. Dies hatte die Frage aufgeworfen, wie der Truppenabzug der Roten Armee bis 1994 in geregelten Bahnen zu bewerkstelligen sei.
In einer eilends verfaßten Erklärung schlug Ausschußvorsitzender Karl-August Kamilli (SPD) als Kernpunkt die Bildung gemischter sowjetisch-deutscher Kommissionen in den Kommunen vor. Sie sollen „vor Ort“ Anwohnerbeschwerden prüfen, die sich etwa durch Schießübungen in Militärgebieten ergeben. Außerdem könnten sie den Einsatz technischer Mittel koordinieren, um einen reibungslosen Abmarsch der Sowjetarmee zu gewährleisten. Der Umweltschutz würde auch zu ihren Aufgaben gehören.
Ungewohnt für die sowjetische Seite ist, daß dem neuen Gesamtdeutschland mit der vollen Souveränität Kontrollrechte zuwachsen. Die Rote Armee ist vertraglich verpflichtet, das geräumte Gelände „ordungsgemäß zu übergeben“. Auf die Frage, ob dies neben der Beseitigung von Manöverschäden auch die Rekultivierung mit einschließe, antwortete Kamilli, es gebe „ein gewisses Eingehen auf Forderungen“ von sowjetischer Seite, aber man möchte „sie nicht überfordern“.
Mit viel Fingerspitzengefühl sind denn auch in einzelnen Kommunen persönliche Kontakte zu Regimentskommandeuren geknüpft und gemischte Ausschüsse gebildet worden. „Wir wollen nicht“, sagt zum Beispiel Günter Kern, Kommunalpolitiker aus Kamenz bei Dresden, „daß 40 Jahre verordnete Freundschaft in Feindschaft enden“. Hauptsorge des Volkskammerausschußes: daß „Randgruppen“ das Thema „Sowjetarmee“ besetzen und emotionalisieren könnten. Seine Vorschläge, wozu auch die Bildung gemischter Komissionen auf Länderebene gehört, will der Ausschuß dem neuen Bundestag zuleiten. Thomas Worm
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen