: Schnauzer, Wampe, Klemmgefühl
Eine Philippika auf den Ostmann ■ Von der Westfrau Ute Scheub
»Seht mal, da kommen lauter häßliche Männer!« rief ein entsetztes türkisches Mädchen, als sich am 9. November 1989 die DDR nach West-Berlin hinein ergoß. Die kleine Kassandra weiß wahrscheinlich gar nicht, wie recht sie hatte. Nicht daß West-Berlin bis dato ein Dorf friedlich nistender Adonisse gewesen wäre — oh nein, ganz im Gegenteil: Auch hier, wie im übrigen Westen, ist körperliche und geistige Schönheit wahrhaftig ein Seltenheitsmerkmal des männlichen Geschlechts. Doch was dann durch die Mauer hindurchquoll, war noch schlimmer, war unterirdisch, war die pure Aufforderung zur inneren Emigration.
Man soll nicht alle über einen Kamm scheren, höre ich da. Ausnahmen — ich kenne vier oder fünf — bestätigen bekanntlich die Regel. Und die verbleibende, an die 99 Prozent reichende Mehrheit ist nach meinen in freier Natur getätigten Beobachtungen in verschiedene Unterklassen einzuteilen.
Da sind, fangen wir damit an, die früheren Parteiträger, Funktionäre oder Offiziere, die auch heute noch irgendeine furchtbar wichtige Position innehaben. Heute 50 oder 60 Jahre alt, gerieten sie als Pimpfe noch in den Nazidrill und anschließend in den stalinistischen. Den autoritären Charakter haben sie von der Pieke auf gelernt, sie wissen im rechten Moment zu schweigen oder zu schreien, schon um ihre Selbstzweifel zu unterdrücken. Ihre Gesichter sind wie die Marxschen Charaktermasken, hinter zerknitterter Hülle verbirgt sich — nichts.
Schweigen wir also von ihnen; obwohl es mich nachgerade zur Empörung treibt, daß — unter grobem Verstoß gegen jedwedes feministische Prinzip und jedes ästhetische Feingefühl — just dieser Menschenschlag häßlicher alter Männer seit Jahrhunderten an der Spitze der Gesellschaften zu stehen wagt.
Reden wir also zwar weiter vom gesetzten Alter, aber von der nächsten Klasse, den Arbeitern und Bauern. Ihnen sind Denkmäler zuhauf gesetzt, dräuend, strotzend vor Kraft, mit Feuer und strahlender Zukunft in den Augen. So dräuten sie auch schon im November vor Aldi, blickten optimistisch auf die Schilder mit den Öffnungszeiten, kämpften heldenhaft an vorderster Front, um die ersten an der Kasse zu sein.
Ja, ja, ich weiß, sie können nichts für ihr verlebtes Leben, das ihnen die Furchen durchs Gesicht zog und die Augen absterben ließ. Manche von ihnen sehen aus wie von Käthe Kollwitz' Malblock gesprungen. Sie schleppen das Martyrium zentnerschwer durch die Straßen. Sie haben ihr Leben lang den Rücken hingehalten, damit andere ihn als Trampolin benutzten, haben stets ihren Mann gestanden, kreuzbrav und flaschenstumm. Doch seit ihnen der November den Korken aus dem Mund zog, sprudelt, was in ihnen an Leben zu einer bitteren Restessenz vergor, ohne Unterlaß heraus. Jetzt wird kräftig Galle auf alle Sündenböcke gespuckt, ob Ausländer oder Zigeuner.
Nein, nicht doch, sicherlich, es sind noch nicht alle tot unter den Lebenden. Wenden wir uns doch zum Beispiel den mutigen Oppositionellen von damals zu, denen, die die Wende erstritten. Damals gingen sie mit aufrechtem Gang die Wände hoch, heute sitzen sie naturgemäß eine Etage höher. Doch unten im Haus hat man leider vergessen, einen Friseur einzubauen. Bis tief in die SPD hinein sprießt nun der wilde Oppositionsbart und zotteln die Strähnen. Ist das der alte Komplex, wenigstens ein Haar in der Suppe der SED zu sein? Oder muß man die Rübezahlbärte als eine Art Auffangnetz für Speisereste betrachten, erfunden von denen, die der Staat notorisch zu kurz hielt? Während sich die Anthropologen hierüber noch streiten, wendet sich die vereinigte Frauenfront mit wenigen unbedeutenden Ausnahmen voll Grausen ab: Vollbärte sind das Allerletzte, warum bloß haben das die Kerle immer noch nicht kapiert? Und wie, zum Teufel, soll man Schöngeister in solch häßlichen Hüllen erkennen?
Ja, ist ja gut da hinten in der letzten Reihe, der Protest ist berechtigt, keineswegs alle tragen Vollbart. Im Gegenteil: Der originale Ostmann ist an seinem Schnauzer zu erkennen.
Zur Schnauzerfraktion gehört, zumindest historisch, natürlich auch die Abteilung Horch & Greif. Die Einheitsbarttracht läßt sich leicht damit erklären, daß sie nun mal die Einheitstarnung für auffällig unauffällige Herren darstellte. Daraus die Herkunft des Wortes Einfaltspinsel herzuleiten ist unter Sprachforschern sehr umstritten.
Diese Sorte Ostmann muß nicht, aber kann ohne weiteres identisch sein mit jenen Jungdynamisch- Sportlichen, die in ihrem neuen Westauto so windschnittig daherkommen, daß ihnen die Rotze vom Bart tropft. »Na Mäuschen«, trompeten sie blonde Radfahrerinnen an und blecken dabei ihr nikotingelbes Gebiß. Seit ihre Potenz mit vier Kolben vibriert und im Motor röhrt, fühlen sie sich einfach sagenhaft. Sie drücken aufs Gaspedal, daß das Blech abhebt und die Fußgänger noch so spritzen. Diese Unterart der Primaten ist direkt vom Baum in den Autositz gefallen. Möge eine gnädige Erde sich auftun und sie alle verschlingen.
Allerdings gibt es auch Menschen, die sich über ihr Jagdvergnügen durchaus freuen, weil sie in dieser Zeit endlich Ruhe vor ihnen haben: ihre Familie. Der Schnauzmann nämlich hat zumeist schon mit zwanzig geheiratet und hat deshalb eine Mutti an der Seite und zwei blonde Kinder. Neben seinem Autowahn frönt er noch einem weiteren Hobby. Er teilt es mit Mutti und mit dem Rest der DDR, es wird Schimpfen, Meckern, Mosern, Motzen oder auch Miesepetern genannt. Hier ist ihm keine Mühe und keine Kunst zuviel, darin allein ist seine Energie unerschöpflich. Sein bevorzugtes Objekt sind »die Kommunisten« oder »das rote Pack«. Seit der Währungsunion, die er selbst wollte und die nun im östlichen Teil der Vereinigten Emirate von Kohlrabien kurzen Prozeß mit der gesamten Wirtschaftsstruktur macht, ist seine Stimme geradezu schrill geworden — unrecht gehabt zu haben, kann er sich unmöglich eingestehen.
Als Standort für seine Schimpfkanonaden und Standpauken bevorzugt er in vielen Fällen den Platz an der Theke: Hier läßt es sich am besten trompeten. So nimmt es dann nicht wunder, daß sich der Plastikanorak dann kräftig über der Wampe spannt, wenn der Ostmann die 30 überschritten hat. Kaum ein Westkerl würde sich — dank des neuen narzißtischen Männerbilds in der Werbung und den Medien — mehr wagen, was sich der Ostmann in aller Öffentlichkeit traut: seine Häßlichkeit so schamlos vorzuzeigen.
Okay, okay, zugegeben, es gibt nicht nur häßliche Machos, es gibt auch ein paar Softis in der DDR. Mit wallenden Haaren, rosagefärbten Schlabbelshirts und Jesuslatschen. Ach, diese lebenden Museumsstücke aus den sechziger und siebziger Jahren sind herzzerrrreißend, und wenn sie dann noch in ihrer romantischen Art die Klampfe rausholen und Protestlieder von Stefan Krawzcyk oder Bettina Wegner summen — dann hilft nur noch Ohropax oder sofortige Flucht.
Doch auch wenn sich der Ostmann quer durch alle Fraktionen mit Modemätzchen und Mimikry zu tarnen versucht, um den neuen Verhältnissen gerecht zu werden: er hat keine Chance. Meine Freundin zumindest schwört, ihn überall — auf der Straße, in der Disko, an der Bar — sofort als Ostler identifieren zu können. Denn sie können nicht schlendern, nicht schlappen, nicht lümmeln oder locker vom Hocker labern. Ihr Rücken ist immer gerade, ihre Gliedmaßen geordnet, all ihre Bewegungen klemmen und quietschen — der Kasernensozialismus hat seine Wirkung getan.
Man möchte sie alle mal durchschütteln! Statt dessen aber grabschen sie meistens nach deiner Hand und schütteln sie in der Gegend herum — eine barbarische Sitte!
Als ob ich Bedarf hätte, einen von denen kennenzulernen! Ich sage Euch, Schwestern: Lieber westlicher Narzißmus-Nihilismus statt östlicher Marxismus-Senilismus.
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