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Wahlkrampf im Wasserwerk

Als gestern der SPD-Kanzlerkandidat im Bundestag sprach, wollten sich CDU-Abgeordnete nicht mehr einkriegen vor Lachen/ Schäuble muß die Rache der SPD-Parlamentarier einstecken  ■ Von Tina Stadlmayer

Die letzte große Debatte des Bundestages in seiner jetzigen Besetzung begann ganz harmonisch. Außenminister Genscher würdigte die Ostpolitik Willy Brandts als „Voraussetzung für die Demokratisierung Osteuropas“. Der SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine bezeichnete dafür brav die Westbindung der Bundesrepublik durch Konrad Adenauer als „richtig“. So wie Kinder im Sandkasten auch erst nach einer halben Stunde anfangen, sich mit Sand zu beschmeißen, brach nach dreißig ruhigen Minuten im Bonner Wasserwerk voll der Wahlkampf aus.

Er freue sich über die „Lernfähigkeit in den Unionsreihen“, verkündete Oskar Lafontaine. Die CDU lehne nun endlich Öko-Steuern nicht mehr grundsätzlich ab. Gelächter bei den Konservativen. Dann wurde es peinlich: „Ich war gestern in der DDR“, erzählte der Kandidat vom Rednerpult herab. Die CDU-Abgeordneten lagen vor Lachen fast unter den Tischen: „Nein, so was, der war in der DDR.“ Ihn habe auch ein DDR-Geschäftsmann angerufen, fuhr Lafontaine leicht irritiert fort, der habe sich über die unsicheren Eigentumsverhältnisse beklagt. „Ein Geschäftsmann, hohoh!“ ulkten diesmal die FDP-Abgeordneten.

„Ihre Albernheit ist wenig beeindruckend“, versuchte sich Lafontaine zu wehren. Der Regierung warf er vor: „Sie sind nicht in der Lage in der DDR, statt Arbeitslosigkeit und Nichtstun zu bezahlen, Arbeit zu organisieren.“ Im Saarland habe er zu diesem Zweck Beschäftigungsgesellschaften gegründet. „Sozialismus!“ rief einer von der CDU dazwischen. „Ich hoffe nur, daß die Bürgerinnen und Bürger in der DDR nicht alles mitbekommen, was hier los ist“, gab der Kandidat zurück.

In der DDR habe er alleinerziehende Mütter kennengelernt, die von 600 Mark netto leben müßten, berichtete Lafontaine. Auch sei es „unerträglich“, daß dort die Mindestrente von 495 Mark in den nächsten Jahren nicht angehoben werde. Im übrigen plädierte er für „mehr Zurückhaltung beim Verwenden des Begriffs Weltmacht“ für das vereinte Deutschland. Über eine Beteiligung der Deutschen an den UN-Friedenstruppen sei mit der SPD nur im Rahmen eines Verfassungsrates zu reden.

Während Lafontaine redete, blätterten die Mitglieder der Bundesregierung in ihren Akten, Bundeskanzler Kohl studierte angestrengt sein kleines Notizbuch. Bauministerin Hasselfeld kicherte mit Forschungsminister Riesenhuber. CDU-Abgeordnete lasen demonstrativ Zeitung.

Als Innenminister Schäuble dann ans Mikrofon trat, traf ihn die Rache der Sozialdemokraten. Die lachten laut, als er Lafontaine vorwarf, er wolle den Menschen in der DDR „Neid einreden“, er verbreite Angst vor der Einheit. Mehrmals rief er: „Sie sagen in Ihrer Rede kein einziges Mal ja zur Einheit.“ — „Sie wiederholen sich“, tönte es von der linken Seite des Plenums. „Wie die Musik lebt die Politik von Wiederholungen“, konterte der Innenminister.

Als der Grüne Gerald Häffner ans Mikrofon trat, leerte sich schlagartig die Regierungsbank. Auch viele Unions- und FDP-Abgeordnete verließen den Saal. Im Einigungsvertrag sei die Chance vertan, ein liberaleres Abtreibungsrecht zu verankern und die Diskriminierung Homosexueller abzuschaffen, kritisierte Häffner. An den abwesenden Bundeskanzler appellierte er: „Feiern Sie sich am 3.Oktober nicht selbst, Herr Kohl, das wird ohnehin inzwischen vielen zu dicke.“ Niemand mochte lachen.

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