Präambel ohne Bezug zur NS-Zeit

■ Die Bundesregierung weigert sich, die deutsche Verantwortung gegenüber Opfern der NS-Zeit in der Präambel des Grundgesetzes zu verankern/ Rat der jüdischen Gemeinden Frankreichs frustriert

Berlin (afp/taz) — Die Verantwortung der Deutschen gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus wird nicht in der neuen Präambel des Grundgesetzes festgeschrieben werden. Der Vorsitzende des Rates der jüdischen Gemeinden Frankreichs (CRIF), Jean Kahn, will deshalb am Montag in Bonn die Beunruhigung der französischen Juden zum Ausdruck bringen. Ein Treffen mit dem Staatsminister im Kanzleramt Lutz Stavenhagen ist geplant. Der CRIF bedauert, daß sich in der Präambel kein Hinweis auf die „schmerzliche Vergangenheit Deutschlands und seiner Verantwortung“ findet. Das Vereinigungsziel aus der ersten Präambelversion ist überholt — trotz Einwände der Republikaner und dem Bund der Vertriebenen. Heinz Galinski wollte hier die „Verantwortung für die Vergangenheit und die Verpflichtung gegenüber allen Opfern des Faschismus festschreiben“.

Kanzler Kohl will den „Völkermord an den europäischen Juden niemals vergessen und antisemitische Vorurteile kompromißlos bekämpfen“. In der neuen Präambel findet sich nichts dergleichen. „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt...“ heißt es statt dessen. Zur Beruhigung schickte Kohl eine Grußbotschaft an die jüdische Gemeinde: Auch das vereinte Deutschland werde sich der Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk bewußt sein. Die Israel-Politik werde von „vertrauensvollem Dialog“ bestimmt sein. Den französischen Juden ist das kein ausreichender Ersatz. Kahn erinnerte an die antisemitischen Ausschreitungen, zu denen es seit dem Umbruch in der DDR gekommen sei. In der BRD habe es „in dem Kanzleramt recht nahestehenden Kreisen“ regelrechte antisemitische Äußerungen gegeben. Der Bund der Antifaschisten in der DDR fordert eine entsprechende Passage in der Präambel. Zum aufrechten Gang in die deutsche Einheit gehöre das Bekenntnis zur deutschen Vergangenheit. In einem offenen Brief geht ein Aufruf an alle Volkskammerabgeordneten, eine Änderung durchzusetzen. Vor der Errichtung einer „Berliner Mauer“ an der Oder-Neiße-Grenze warnte Bronislaw Geremek, der Vorsitzende der Solidarnosc-Gruppe im polnischen Parlament. Neuer Haß gegen Polen, Ungarn und andere Ausländer treffe hauptsächlich kleine polnische Händler. km