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Für die Flußperlmuschel kommt die Wende erst noch

Noch tummeln sich in und an der Werra seltene Tierarten/ Die gnadenlose Versalzung des Wassers durch den Kaliabbau ist nicht einmal das größte Problem/ Umweltschützer kämpfen verzweifelt gegen weitere Begradigungen des Flußlaufes/ Hessens Umweltminister Weimar bietet Hilfe an  ■ Aus Erfurt Heide Platen

Die Werra entspringt in 767 Meter Höhe über dem Meeresspiegel, fünf Kilometer oberhalb des Ortes Sachsenbrunn. Von da ab mäandert sie sich westlich vom und parallel zum Thüringer Wald, zwischen ihm und der Rhön hindurch, in Richtung Nordwest und deutsch-deutscher Grenze. Die erreicht sie bei Vacha, wird über weite Strecken Grenzfluß und mündet schließlich zwischen Kaufunger und Reinhardswald in die Fulda, oder umgedreht. „Und hier entsteht durch diesen Kuß“ auf der Eselsbrücke aller geplagten SchülerInnen die Weser.

Der Grund, warum zum Beispiel die BremerInnen der Weser kein Trinkwasser entnehmen können, liegt runde 300 Kilometer Luftlinie im Süden. Da wird nämlich Heimatkunde zum Chemie-Unterricht. Auf beiden Seiten der Grenze wird seit der Jahrhundertwende Kali abgebaut. „Die Kaliindustrie in beiden deutschen Staaten“, stellt eine der Bürgerinitiativen fest, die sich im Oktober zum „Werra-Schutzbund“ zusammenschließen werden, „gewinnt vor allem Kalium-, Magnesium- und Bromverbindungen zur Herstellung von Mineraldüngern, zum Einsatz in der Zellstoff- und Zuckerindustrie“.

Da war das Wasser braun und tot

Darum hat sich praktischerweise bei Wernshausen (Ost) auch noch eine Papierfabrik angesiedelt. Was die in den Fluß einleitet, wissen die Bürgerinitiativen nicht. „Aber“, stellte im Mai dieses Jahres ein Teilnehmer einer demonstrativen Bootsfahrt fest, „als wir da vorbei kamen, da war das Wasser auf einmal braun und tot“.

Die Bürgerinitiativen, die sich schon vor der Wende zum Schutz der 129 Kilometer Werra auf DDR-Seite engagierten, setzt sich aus engagierten Einzelpersonen und verstreuten kirchlichen Gruppen zusammen, die in den Ortschaften entlang des Flußlaufes leben. Zunächst kannten sie sich untereinander kaum oder gar nicht. Naturschützer, Chemiker, Biologen hatten immer wieder versucht, durch Eingaben an den Ministerrat und die örtlichen Staats- und Parteigremien der Zerstörung der Werra entgegenzuwirken, „mit sozialistischem Gruß“.

Vor einem Jahr haben sie allmählich zusammengefunden. Ein schwieriges Unterfangen in einem Land, in dem das Telefonieren ein tagesfüllendes Abenteuer ist. Deshalb ist der Erfurter Biologe Ulrich Scheidt besonders stolz auf die gemeinsam organisierte Bootsfahrt im Frühjahr 1990. Immer wieder zeigt er die Fotos des mit Parolen bemalten Trabi und von den Booten, in denen sie die Werra abwärts paddelten, Bilder vom Treffen mit den bundesdeutschen RadlerInnen, mit denen sie bei Tiefenort zusammentrafen.

Dabei geht es den UmweltschützerInnen gar nicht so sehr um die umweltschädigende Werra-Versalzung. „Das Salz“, sagt Uli Scheidt, „ist nicht das Schlimmste.“ Seit Jahr und Tag kämpfen sie vor allem gegen die Begradigungs-Projekte des Bezirkes, die angeblich vor Hochwasser schützen, gleichzeitig aber den Fluß gefährden. „Das wurde auch noch als Umweltschutz ausgegeben“, empören sie sich sich: „Umweltschutz, das heißt hier in der DDR immer Schutz des Menschen vor der Natur.“ Oberhalb der Kaliwerke und der Papierfabrik sei die Werra noch „von der Struktur her recht naturnah“. Sie habe eine „hohe Selbstreinigungskraft“.

Ordnung muß sein: die Werra im schnurgeraden Schotterbett

Woran das liegt? Der Chemiker Jens Krause aus Meiningen gerät bei der Beschreibung der sauberen Nebenflüßchen, der Schleifen und Mäander der Werra, der unterschiedlichen Ufergefälle vom Steilufer bis zur Sandbank, der wechselnden Strömungsgeschwindigkeiten geradezu ins Schwärmen. In den Flußabschnitten tummeln sich die sogenannten „Leitfische“: Forellen, Äschen und Barben. Die kommen, sagt er, mit den Kalisalzen „besser zurecht als mit den Begradigungen“.

Auf den Kiesbänken brütet der Flußregenpfeifer, an den Steilkanten schwirren grünblaue Eisvögel. In den Auen der Werra und ihrer Nebenflüsse haben Ornithologen die seltene Wiesenwachtel (crex crex) entdeckt, die zu den in Europa gefährdeten Arten gehört. Wasserralle, Teichrohrsänger, Uhu und Falke seien zum Beispiel am grenznahen Heldrastein inzwischen viel mehr durch Touristenströme, Imbißstände und Eiswagen gefährdet als durch die Umweltverschmutzung der Industrie. Die Werra sei auf DDR-Gebiet mitsamt den Salzeinleitungen immer noch sauberer als die bundesdeutsche Fulda ohne Salz, sagen sie nicht ohne Lokalpatriotismus.

Die verheerenden Folgen der Begradigung sind in Walldorf, fünf Kilometer nördlich von Meiningen, zu sehen. Dort wurde im Juli 1989 trotz heftiger Proteste der UmweltschützerInnen eine Flußschleife abgeschnitten. Jetzt liegt die Werra im schnurgeraden Schotterbett. Die Fließgeschwindigkeit ist gleichmäßig. Fische zum Beispiel, die in stehendem Gewässer leben, aber in fließendem laichen, haben in diesem „künstlichen Gerinne“ keine Überlebenschance mehr. „Das ist“, sagt Uli Scheidt, „als ob wir Menschen ständig auf einem Laufband leben müßten“.

Für die UmweltschützerInnen drängt die Zeit. In Merkers bei Tiefenort ist ein neuer Flußdurchstich geplant. Mit einem Wehr soll dem dortigen Kaliwerk die Entnahme von Flußwasser erleichtert werden. Die Initiativen haben „nichts gegen das Wehr“, ein altes ist ohnehin vorhanden. Das könne doch „rekonstruiert werden“, die Begradigung aber, die eine ähnliche Flußwüste wie in Walldorf zur Folge haben werde, müsse nicht sein. Sie wissen, wovon sie reden. Im Gespräch werden sie immer eindringlicher, verraten sogar Standorte unwiederbringlicher zoologischer Kostbarkeiten.

Für die Sauberkeit der Werra spreche, daß die in ihr und den Nebenflüssen vorkommenden Flußkrebse bis in die 70er Jahre kommerziell genutzt wurden. An vier Stellen kann man sie immer noch finden. 1910 gab es hier sechs große Muschelarten, unter ihnen die belastbare Teichmuschel und die Flußperlmuschel, die bis zu 100 Jahre alt wird. „Seltsamerweise“, wundert sich Jens Krause, „gibt es die in einigen wenigen Wasserläufen immer noch: Für die kommt die Wende dieses oder nächstes Jahr.“

Das skurrile Dorado eines Einwanderers

Während die Bürgerinitiativen um das Überleben einer natürlichen Werra und der einheimischen Tiere und Pflanzen kämpfen, beginnt unterhalb der Kaliwerke das skurrile Dorado eines Einwanderers. Gammarus tigrinus, eine winzige Salzkrebsart, lebt und gedeiht eigentlich nur in Amerika zwischen Salz- und Süßwasser, im Brackwasser an den Flußmündungen am Meer. Schiffe schleppten das mobile Tierchen zuerst nach Irland und England und von dort aus geriet es irgendwann in das Kalisalzwasser der Werra. Es vermehrte sich prächtig und ernährt drei Fischarten reichlich: den unverwüstlichen Aal, aus den USA stammende Regenbogenforellen und, seltsamerweise, die Bachforelle. Biologen vermuten, daß diese Krebsart, wie ihr verwandte Arten, auch im salzigen Meer überleben kann.

Bundesdeutsche Forscher setzten in den 50er Jahren in der Werra Prielwürmer, Miesmuscheln, Seepocken, Sandgarnelen und Flundern aus. Die Meerestiere gingen ein. 1980 kippten sie noch einmal 10.620 kleine Flundern in den Fluß. Bis 1981 meldeten, unter anderem, verdutzte Angler 62 der Plattfische zurück. Die zähesten kamen immerhin bis Hameln und Holzminden.

Immerhin: der hessische Umweltminister, Karlheinz Weimar (CDU), kündigte ein großangelegtes Entsalzungsprogramm an. Durch die Stillegung des Werkes Dorndorf auf DDR-Seite, einem der drei Betriebe der thüringischen Kali-Werra-AG, und die Umstellung der Produktion in Merkers und Unterbreizbach soll die Kali-Einleitung von 23.000 Tonnen täglich auf 5.000 Tonnen verringert werden. Geplant ist, die Rückstände mit Wasser unter Tage zu verschlämmen — ein Verfahren, an dessen Entwicklung auch die DDR arbeitete.

Die bisher praktizierte Methode, den Abraum mit hohem Druck in Hohlräume zu verpressen, kam ins Gerede, als 1988 ein Gebirgsschlag die Region erschütterte, über dessen Ursache in Ost und West heute noch gestritten wird. Bei der westdeutschen Kali und Salz AG wird seit 1977 ein großer Teil des Abraums oberirdisch auf riesigen Halden gelagert, ein geringerer Teil verpreßt. Ob mit der spektakulären Entsalzung, die dem Gammarus tigrinus den Geraus machen wird, andere Arten zurückkehren, wissen die ExpertInnen nicht. Möglich sei es schon. Das alles aber nütze gar nichts, wenn oberhalb der Kaliwerke weiter begradigt werde. Denn dann wird den Tieren, die sich langsam wieder ansiedeln könnten, schon im Vorfeld der Garaus gemacht.

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