Seh'n oder Nichtseh'n

■ Radio Bremen: „3 nach 9“ mit Erich Kuby und Carmen Thomas

Im Rummelplatz-Ton preist Randi Krott die Gäste an: Hereinspaziert, hereinspaziert. Carmen Thomas — die Dame ohne Unterleib? Nein: „Sie schaut dem Volk aufs Maul.“ Die Gruppe „French Connection“ — Elefantenmenschen mit drei Köpfen? Nein: „Die Musikdroge aus Frankreich“. Sie selbst sieht aus wie eine Achterbahn-Monteurin: nackte Arme ragen aus der pappsteifen Jeans-Weste heraus. Flottflott und burschikos, potzblitz, das aggressiv-unkleidsam gewandete Mädel droht Schwung in den ermatteten Laden reinzubringen. Nein, sie reißt sich erst wieder bei der Abmoderation zusammen, als sie die papieren festgefahrene Lehrer-Diskussion mit dem Hinweis auf „Klingeln zur Pause“ abbricht. Den Rest besorgen die zwei Kollegen: ein schläfriger di Lorenzo und die mit dem mächtigen Sehnenscheiden-Entzündungs- Armband: „Wie fühlt man sich denn so“, schnoddert Juliane Bartel an Erich Kuby hin, „wenn man nicht spezialisiert ist, sondern zu jedem Dreck und allem Großen was zu sagen hat?“ Die Moderatorin Bartel, die journalistische Unerschrockenheit verwechselt mit einer ätzend kasernenhofartigen Pampigkeit, gehört zu den Moderatoren im Talkshow- Wesen, die einem fast den interessantesten Gast verleiden können, weil sie wie zwanghaft beweisen zu müssen glaubt, daß grobe Klappe mit nichts dahinter für Talkshows qualifiziert. Nichts besseres hat sie zu Erich Kubys vitalen, zutreffend-bösen Angriffen auf das „BRD-Gesindel, das in die DDR zieht und alles aufkauft“ zu sagen als den vergreisten Rat: „Wollen Sie nicht dank Ihres Alters mal mehr Hoffnung haben?“ So bootet man auf unverschämte Weise das rebellische Denken eines Mannes aus, der mit seinen 80 Jahren den Geist noch hat, den manche schon als Mittvierziger aufgegeben haben. „Pfuipfui“ rief es auch aus dem einig-Vaterland-Publikum, „der soll doch in Italien bleiben.“ Dieselben vermutlich, die früher jeden „nach drüben“ schicken wollten, der sich nicht auf Gartenzwerggröße stutzen ließ. Und dieses gehässig-beleidigte Gezischel gibt Kuby in seinem Pessimismus doppelt recht.

Dasselbe Publikum beölt sich gemeinsam mit den aufstachelnden Moderatoren, über das Thema „Hengste und Deckakt“ im Rennstallgewerbe des Herrn Steigenberger. Wie in der verzoteten NDR- Talkshow geht's plötzlich zu — die pubertierende Volksseele ist ganz bei sich, und unser Ali Jürgen Alberts, mit Schriftstellerhut und —schal, genial-proletarisch geöffnetem Hemd und Haaren auf der Brust, will sich sogar „bewerben für den Deckakt“. Man hat ihn allerdings nicht als arbeitsuchenden Stutendecker eingeladen, sondern als Autor des Verfassungsschutzromans „Zielperson unbekannt“. „Und Tiedgen? Was macht der jetzt?“, bellt Juliane Bartel. „Frißt der Kaviar in 'ner Datscha?“

Tja, Tiedgen frißt Kaviar, Kuby hat zu jedem Dreck geschrieben, und über das Deckgeschäft könnte Juliane Bartel noch stundenlang so weiterreden. Carmen Thomas erzählte, wie schwer es sei, in ihrer Sendung den „Sprechdurchfall zu bremsen“. In der Talkshow war sie leider außer Dienst. Sybille Simon-Zülch