: Passen noch mehr Menschen in Trabantenstädte?
■ Gutachter des Bausenators: In die Gropiusstadt können allenfalls noch 150 neue Wohnungen gebaut werden/ Planer halten Verdichtung von Trabantenstädten für kein Thema mehr/ Reduzierte Pläne im Märkischen Viertel und in Spandau
Berlin. Enger geht's nicht mehr — scheidet die sogenannte »Nachverdichtung« von West-Berlins Großsiedlungen, wie sie Bausenator Nagel (SPD) zur Erfüllung seines ehrgeizigen Wohnungsbauprogramms anstrebt, als Thema einer neuen Wohnungsversorgung aus? Zu einer derartigen Auffassung ist jedenfalls der Architekt Volker Martin vom Stadtplanungsbüro Martin und Pächter gelangt. Das Architektenbüro hat gerade eine Vorstudie über die Möglichkeit einer »Nachverdichtung« in der Gropiusstadt fertiggestellt, die die Bauverwaltung in Auftrag gab. Ernüchterndes Ergebnis laut Martin: Aufgrund der komplizierten Eigentumsverhältnisse bei Grundstücken und anderer vorhersehbarer Planungsschwierigkeiten, aber auch unter stadträumlichen Gesichtspunkten lassen sich in der Gropiusstadt, realistisch betrachtet, allenfalls 150 bis 160 neue Wohnungen hochziehen. Insgesamt ermittelten die Architekten ein Potential von ungefähr 340 Wohnungen, dies indes ausschließlich in Bereichen am Rande der Gropiusstadt. Zur Verdichtung oder auch Neubebauung geeignet hält man nur rund sechs Grundstücke im Süden Neuköllns.
Aufgelistet sind verschiedene Stellplatz- oder Garagenflächen an der Fritz-Erler-Allee, am Walter- Mey-Weg, am Löwensteinring, der Karsenzeile und der Wutzkyallee, die bei Änderung der Bebauungspläne genutzt werden könnten. Weiter wurde eine Überbauung des eingeschossigen Verbrauchermarktes an der Johannisthaler Chaussee Ecke Neuköllner Damm angeregt. Dagegen lehnen es die Architekten aus städtebaulichen Gründen ab, den Löwensteinring vollständig zu schließen und zu überbauen. Im Ergebnis müsse man von der »Nichtmöglichkeit einer Nachverdichtung« in der Gropiusstadt sprechen, erklärte Martin. Eine Auffassung, die sich auch mit der der betroffenen Mieter und des Bezirks deckt.
Auch Neuköllns Baustadtrat Branoner (CDU) wies darauf hin, daß unter dem Schlagwort der »städtebaulichen Urbanität« bereits in der Planungsphase der Gropiusstadt die Anzahl der zu bauenden Hochhausquartiere kräftig nach oben korrigiert worden sei. Gropius wollte ursprünglich nur 12.000 Wohnungen, auf Kosten der zentralen Grün- und Freiflächen sowie von Schulen und Kindertagesstätten kam man letztlich aber auf rund 19.000. Eine weitere Aufstockung der Hochhäuser brächte vor allem eine nicht hinnehmbare Verschlechterung des Wohnstandards der Mieter, sagte Branoner. Wenn die Mieterkeller von oben nach unten verlegt würden, gebe es so in den Erdgeschossen »nur noch 2,20 Meter hohe Wohnungen«, beschrieb der Stadtrat das Dilemma.
Widerspruch kommt dazu aus dem Haus des Bausenators. Der Referatsleiter für Wohnungsbauförderung in der Bauverwaltung, Kujath, bezeichnete es als schlichtweg »falsch«, daß es in den Trabantenstädten überhaupt keine Wohnungsbaupotentiale mehr gebe. Selbst wenn es mit Hilfe der Gesobau im Märkischen Viertel jetzt nur 350 neue Wohnungen gebe, sei das »eine Menge«. Der Referatsleiter: »Sagen Sie das mal einem Wohnungslosen, daß das nichts ist.« Laut Kujath läuft im Märkischen Viertel noch ein Beiratsverfahren mit Mietern und Architekten. Im Zuge der Hausmodernisierung mit neuen Loggien und energiesparenden Fassadenverkleidungen seien aber schon einige Vorhaben fertiggestellt.
Auch andere Großsiedlungen werden aber infolge lautstarker Mieterproteste nur in Maßen »dichter«. Beispielsweise zeichnet sich ab, daß die Zahl der neuen Wohnungen im Falkenhagener Feld in Spandau zunächst nur bei etwa 600 liegen wird. 3.500 Wohneinheiten hatten Gutachter früher vorgeschlagen. Nun baut die GSW erst einmal magere 80 Wohnungen südlich der Pionierstraße. Auf Druck der Mieter kürzte die Wohnungsbaugesellschaft Eintracht die für ihr Grundstück angedachten 160 Wohnungseinheiten um 60; die WIR-Wohnungsbaugesellschaft beugte sich dem Ansinnen eines Architektenpreisgerichts, ihr Bauprogramm zu überarbeiten. Ergebnis laut Spandauer Bezirksamt: 360 der vorgeschlagenen 592 Wohnungen werden nicht gebaut.
Gänzlich ungewiß ist, ob es in der Charlottenburger Paul-Hertz-Siedlung noch neue Wohnungen gibt. Im Juli entschied das Bezirksamt »ohne Wenn und Aber« gegen projektierte Dachaufbauten, weil der Bau für viele alte Menschen in den oberen Geschossen eine »soziale Härte« gewesen wäre, so Baustadtrat Dyckhoff (SPD). Dyckhoff zufolge schlug man der Gesellschaft Gewobag ersatzweise »Ergänzungsbauten« an anderer Stelle vor. Doch für die nahegelegte Aufstockung von zwei Einkaufszentren und die Bebauung von zwei Flächen am Hecker- sowie am Kurt-Schumacher-Damm hat die Gewobag nach Angaben des Stadtrats noch keinen neuen Bauvorbescheidsantrag gestellt. Ganz grob gerechnet, so der Baustadtrat, seien mit der ergänzenden Bebauung 100 bis 150 Wohnungen zu realisieren. Thomas Knauf
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