„Die Russen haben uns gratuliert!“

Viel Sympathie für das norwegische Protestschiff „Genius“ vor dem möglichen Atomtestgebiet Nowaja-Semlja/ Nach drei Wochen Fahrt von sowjetischem Militär ausgewiesen  ■ Aus Kirkenes Reinhard Wollf

Gestern morgen, 5 Uhr: Trotz schlechten Wetters warten 30 bis 40 Frauen und Männer aus Kirkenes seit Stunden auf die Rückkehr der „Genius“. Klatschen und Glückwunschrufe, als das umgebaute Fischerboot der norwegischen Umweltschutzorganisation „Bellona“ am Kai festmacht. Nach dreiwöchigem Kreuzen vor Nowaja-Semlja, das die UdSSR mutmaßlich als Atomtestgebiet benutzen will, war es am Samstag von den sowjetischen Militärbehörden aus der 200-Meilen-Wirtschaftszone ausgewiesen worden. Begründung: Ungesetzliche Entnahme von Wasser- und Meeresbodenproben.

Doch nicht als Verlierer fühlen sich die fünf „Helden“, wie sie seit Tagen von der Lokalpresse tituliert werden. „Wir haben wieder ein Stück Medienöffentlichkeit geschaffen“, freut sich Bellona-Chef Hauge, „vor allem in der Sowjetunion selbst.“ Tatsächlich haben auch in der Sowetunion zumindest die lokalen Medien die Fahrt des Protestschiffes genau verfolgt.

Besonders beeindruckend sei das Verhalten der sowjetischen Schiffsbesatzungen gewesen: „Sie haben uns ganz unverblümt ihre Sympathie bekundet, Beifall geklatscht, als wir unser ,Stop nuclear tests‘-Transparent aufgehängt haben.“ Auch als sie Befehl bekamen, das Schiff aus der 200-Meilen-Wirtschaftszone in internationale Gewässer hinaus zu eskortieren, sei die Stimmung herzlich geblieben. „Sie haben uns zum Abschied für unsere Aktion gedankt. Es ist ein gemeinsamer Kampf, den sie und wir gegen die drohenden Atombombenversuche führen“, sagt Hauge. Trotz aller Sympathien hatten die Sowjets jedoch eindeutige Grenzen der Bewegungsfreiheit für das „Genius“-Team gesetzt. „Uns wurde unmißverständlich klargemacht, daß die Soldaten für den Fall, daß wir an Land gehen, Befehl erhalten hätten, gezielt zu schießen, und sie diesen Befehl auch ausführen müßten“, sagte ein Besatzungsmitglied. Wie sieht es mit Anzeichen aus, die auf baldige Atombombensprengungen hindeuten? Keiner will sich da ganz eindeutig äußern: Man habe erstaunlich umfangreiche militärische Aktivitäten zu Land, Wasser, in der Luft beobachten können. Ob diese nun der Aufregung um die „Genius“ geschuldet waren oder den Vorbereitungen für einen baldigen Versuch, könne man schlecht bewerten. Hauge berichtet aber von in Kanada bekannt gewordenen Satellitenaufnahmen, die eindeutig auf Vorbereitungen füpr Atombombenversuche schließen lassen. Auch aus der Sowjetunion selbst habe man wiederholt zuverlässige Informationen in dieser Richtung erhalten.

Während der Fahrt der „Genius“ verstärkten Anti-Atom-Gruppen diesseits und jenseits der Grenze weiter ihre Aktivitäten. Aus verschiedenen sowjetischen Orten wurden Unterschriftsaktionen gemeldet. Und am Sonntag richteten die kommunistischen und sozialistischen Parteien der nordischen Länder bei einem Treffen im norwegischen Kautokeino einen gemeinsamen Apppell an Gorbatschow, alle Vorbereitungen für Atomtests zu stoppen.

Für Bellona ist nur eine Atempause eingelegt, die Protestaktion noch nicht zu Ende. Wie zur Bekräftigung steckt der Besitzer einer Tankstelle den Kopf zur Tür des neu eröffneten Umweltbüros am Hafen von Kirkenes herein: „Für die nächste Fahrt bekommt ihr den Diesel wieder umsonst, klar?“ Die einheimische Bevölkerung hat die Besatzung aus besten Kräften unterstützt. In den nächsten Tagen will außerdem ein Greenpeace-Schiff auf den Spuren der „Genius“ Richtung Nowaja-Semlja aufbrechen.