: Absurdes Theater made by Minister Töpfer
Eine tapfere Kundin probt den Aufstand gegen Käsefolie, gefährliche Weichmacher und Filialleiter/ Der Grüne Punkt als Punkt hinter den Verpackungsstreit? ■ Aus Essen Bettina Markmeyer
Neuerdings ist Herr Töpfer gegen Verpackungen. Herr Töpfer ist Minister und kann deshalb seiner neuen Überzeugung schnell Taten folgen lassen. Er bastelt eine Verordnung, und — wir staunen — ein paar Wochen später hat die Privatwirtschaft ein Modell, wie sie aus Töpfers neuer Aversion gegen Verpackungen Geschäfte mit Verpackungsabfall machen kann.
Wir haben es da etwas schwerer. Wir sind zwar schon immer gegen Verpackungen, aber wir sind nicht Minister. Und wir können unserer Überzeugung zwar Taten nachfolgen lassen, dürfen aber keine Siege gegen das Verpackungsunwesen erwarten. Und schon gar nicht dürfen wir erwarten, daß die Privatwirtschaft durch unsere Aversion gegen Verpackungen zu schnellen Innovationen inspiriert wird. Theoretisch, eines Tages, vielleicht. Praktisch, im Supermarkt, noch lange nicht.
Nach zahlreichen Verhandlungen mit Verkäuferinnen über Tüten, Kästchen und Folien entschloß ich mich neulich, den Dauerstreit eine Etage höher zu tragen. Eingesehen hatte ich, daß nicht sie, die BefehlsempfängerInnen, und ich, die einfache Kundin, die wahren KontrahentInnen im Verpackungsstreit sein können.
Immer wieder hatten ungeduldige KundInnenschlangen in meinem Rücken, wenn ich versuchte, eine unnütze Folie oder eine überflüssige Tüte abzulehnen, nicht nur mir, sondern auch den VerkäuferInnen hinter unzähligen Käse- und Fleischtheken Nervenstärke abverlangt. Vermutlich mehr als Herr Töpfer braucht, wenn er sich entschließt, eine neue Verordnung basteln zu lassen. Ihm steht ein Heer von Beamten, die alle genügend Zeit haben, zu Verfügung, während Frauen diesseits und jenseits der Verkaufstische in den neonbeleuchteten Tiefparterren bundesdeutscher Kaufhäuser den Verpackungsstreit sozusagen ehrenamtlich ausfechten müssen.
Nun, die meisten VerkäuferInnen waren trotz dieser Zusatzbelastung höflich geblieben. Vorschriften zwängen sie, hatten mir viele von ihnen versichert, 200 Gramm Gorgonzola dreimal in Plastik einzuhüllen, bevor sie ihn über die Theke reichen dürften. Gut, dachte ich also neulich, wo Vorschriften sind, sind auch Vorschreiber. Und probierte es mal beim Otto-Mess-Supermarkt in Düsseldorf.
„Warum verbrauchen Sie in ihrem Laden soviel Folie?“ Der Leiter: „Wie bitte?“ Ich: „Die Verkäuferin am Käsestand wickelt ein Stück Leerdamer aus, schneidet mir das Stück ab, das ich kaufen will, und packt es ein, zweimal: erst in Folie, dann in die Tüte. Dann schmeißt sie die Folie weg, in der das große Stück Käse eingewickelt war, nimmt eine neue und wickelt es wieder ein. Bei der nächsten Kundin macht sie es wieder so.“ Der Leiter: „Kann schon sein, und?“
Ich: „Das ist doch Verschwendung, lauter unnützer, womöglich giftiger Müll. Und für die Gesundheit ist die Folie auch nicht gut.“ Der Leiter, erleichtert: „In unseren Folien sind keine Weichmacher.“ Ich, mein Thema aus den Augen verlierend: „Aber die Folie ist weich.“ Der Leiter: „Jedenfalls sind in unseren Folien keine gefährlichen Weichmacher drin.“ Ich: „Welche denn?“ Der Leiter: „Das weiß unsere Zentrale.“ Ich: „Können Sie es mir auch sagen?“ Der Leiter: „Wir beziehen die Folien zentral, da müßten Sie sich bei der Zentrale erkundigen.“ Ich, mich an mein Thema erinnernd: „Aber warum verbrauchen Sie hier SOVIEL Folie?“
Der Leiter: „Wegen der Hygiene. Daß die Verkäuferin den Käse zum Beispiel nicht immer mit den Fingern anfaßt.“ Ich: „Aber sie muß ihn doch mit den Fingern anfassen, wenn sie ihn abschneidet oder verpackt.“ Der Leiter: „Wir haben Vorschriften.“ Ich: „Was für Vorschriften?“ Der Leiter: „Die stehen im Lebensmittelgesetz.“ Ich, in tiefer Verzeiflung: „Und im Lebensmittelgesetz steht, daß Sie soviel Folie verbrauchen müssen?“
Der Leiter: „Was wollen Sie?“ Ich: „Es geht mir um den Müll.“ Der Leiter: „Ich bin auch gegen den vielen Müll.“ Ich, in tiefster Verzweiflung: „Aber Sie machen doch mit!“ Peng. Der Bogen ist überspannt. Der Leiter: „Fragen Sie als Kundin, oder wer sind Sie?“ Ich: „Ich frage als Kundin.“ Der Leiter: „Wenden Sie sich bitte an unsere Zentrale.“ Ich: „Und wer ist da für die Folien zuständig?“ Der Leiter: „Da muß ich mich erst erkundigen. Kommen Sie morgen wieder.“
Soweit der Ausschnitt aus einem in fast jedem beliebigen Supermarkt der Noch-BRD wiederholbaren Gespräch mit einem Filialleiter über die Produktion von Plastikmüll. FreundInnen des besonders in den 60er Jahren beliebten Absurden Theaters können Dialoge von ähnlicher Qualität jederzeit durch Fragen wie: warum verbrauchen Sie soviel Folie? neu erzeugen. Die Fragen müssen lediglich sehr einfach sein, so einfach, daß sie in unserer hochtechnisierten Welt nicht mehr beantwortet werden können.
Auch der Dauer des absurden kommunikativen Vergnügens im Namen der Ökologie sind keine Schranken gesetzt: jedenfalls nicht durch die Töpfersche Verpackungsverordnung. In einem Jahr kann ich mit dem Filialleiter des Düsseldorfer Otto-Mess-Marktes mein erquickliches Gespräch genauso wiederholen.
Einziger Unterschied: Die Berge von Folienmüll hinter seiner Käsetheke und die in meinem Mülleimer werden dann nicht mehr von der städtischen Müllabfuhr in die Verbrennungsanlage gebracht, sondern von privaten Fuhrunternehmern. Und zu meiner Beruhigung wird auf der „absolut unbedenklichen Folie“ dann ein grüner Punkt prangen, auf den mich der Filialeiter stolz verweisen wird. Dafür zahle ich dann gern zwei Pfennig mehr für meinen Appenzeller.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen