: Freihandel oder Bauernschutzpolitik
EG-Landwirtschaftsminister verhandeln über die Senkung von Agrarsubventionen ■ Aus Brüssel Michael Bullard
„Nichts, kein Prozent mehr!“ Was treibt den EG-Landwirtschaftskommissar Ray MacSharry zu diesem wütenden Ausruf? Die US-Handelsbeauftragte Carla Hills. Sie hatte eine Reduzierung der EG-Agrarsubventionen bis zum Ende des Jahrtausends um 70 Prozent gefordert, um „endliche faire Konkurrenzbedingungen auf dem Weltmarkt“ herzustellen. Diesen Vorstoß benutzte Außenhandelskommissar Frans Andrießen dazu, den Kürzungsvorschlag seines Kollegen MacSharry als ungenügend zurückzuweisen, der bei den GATT-Verhandlungen zur Liberalisierung des Welthandels eine Senkung der EG-Agrarhilfen um 30 Prozent bis 1996 anbieten will. Daraufhin zog dieser seinen Plan mit der Drohung zurück, ihn am 3. Oktober wieder unverändert einzubringen. Fazit: Nur zwei Monate vor dem Ende der laufenden GATT- Runde sind die Eurokraten über ihre gemeinsame Haltung zum Abbau der Agrarsubventionen völlig zerstritten, obwohl es ihre Aufgabe wäre, dem EG-Ministerrat eine einheitliche Vorgehensweise vorzuschlagen.
Wie der internationale Freihandel trotzdem zu retten ist, diskutierten die zwölf EG-Landwirtschaftsminister Montag und Dienstag in Brüssel. Dabei mußten sie nicht nur den internationalen Handelsinteressen Rechnung tragen, sondern auch dem eigenen Landvolk. Die EG-Bauern sind aufgebracht, weil ihnen, bedingt durch Rekordernten, Rekordpleiten drohen. Rund 300.000 bäuerliche Betriebe werden Schätzungen zufolge dieses Jahr im EG-Europa dicht machen müssen. Grund: Die Preise für Agrarprodukte sind in den Keller gefallen, während die längst vergessen geglaubten Milch- und Fleischberge zu neuen Höhen vorstoßen. Golfkrise und Billig-Importe aus der DDR haben dabei nur noch beschleunigt, was durch hausgemachte Überproduktion und ruinöse Preispolitik der USA je schon ins Haus stand.
Zu einer Einigung kamen die Agrarminister nicht. Vor allem der britische Minister John Gummer setzte sich für den MacSharry-Vorschlag ein. Bundeslandwirtschaftminister Ignaz Kiechle und sein französischer Kollege finden den Satz von 30 Prozent zu hart und fordern, daß zumindest einen entsprechenden Ausgleich als direkte Einkommensbeihilfen. Wegweisendes konnten die Landwirtschaftsminister nicht beschließen. Zuständig für die Verhandlungsposition im GATT-Wettkampf sind nämlich die Außenminister, die — da selbst zu beschäftigt — lieber ihre Wirtschafts- und Handelsminister in der zweiten Oktoberwoche in Luxemburg in den Ring schicken. Bis dahin sollte sich die Kommission dann spätestens zusammengerauft haben. Schließlich kann der Ministerrat nur auf Vorschlag der EG-Behörde hin Beschlüsse fassen. Die Zeit drängt: Mitte Oktober müssen die Verhandlungspositionen eingereicht worden sein, um zum GATT-Abschlußpaket zu gehören, das Anfang Dezember in Brüssel ausgehandelt werden soll. Ob es dazu kommen wird, ist allerdings ungewiß. Schließlich drohen die anderen wichtigen Agrarexportländer, allen voran die USA, die GATT- Runde platzen zu lassen, falls die EG nicht endlich ihre „aggressive“ Exportsubventionspolitik einstellt.
Außenhandelskommissar Andrießen, unterstützt von Binnenmarktkommissar Martin Bangemann, ist deshalb zu Zugeständnissen im Agrarbereich bereit. Die Handelsinteressen der anderen EG-Industriezweige auf dem Weltmarkt sind den beiden wichtiger als bäuerliche Klein- und Mittelbetriebe. Schließlich geht die Unterstützung für diese Höfe ins Geld: Es wird schon damit gerechnet, daß das EG-Budget — für 1991 sind von 111 Milliarden DM 61 für den Agrarbereich reserviert — aufgestockt werden muß. Auch wenn sich MacSharry jetzt als Beschützer der Bauern aufspielt, der Unterschied zwischen ihm und seinen Kommissionskollegen ist lediglich ein gradueller: Auch seine Landwirtschaftspolitik ist darauf ausgerichtet, die Klein- und Mittelbetriebe aus dem Geschäft zu drängen. Selbst durch die künstlich hochgehaltene Preise werden langfristig nur die Agrarbetriebe geschützt, die stärker rationalisieren und chemisieren — die Großbetriebe.
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