Tour d'Europe

■ Erweitern und lähmen

Zwei-Klassen-Status im Europarlament: Ab November sollen DDR-Abgeordnete bis zu den Europawahlen 1994 einen Beobachterstatus ohne Stimmrecht in Straßburg erhalten. Immerhin können sich die DDR-Vertreter damit trösten, daß auch ihre stimmberechtigten Kollegen kaum Einfluß auf die Politik der Gemeinschaft haben. Langfristig wird die deutsche Repräsentanz im Europaparlament noch einigen Zündstoff bieten. Schon jetzt meinen deutsche Parlamentäre, daß dem künftig einwohnerstärksten Mitgliedsland mehr Parlamentssitze als allen anderen zustehen. Doch mit reiner Mathematik lassen sich politische Probleme nicht immer lösen: dann stünde dem Großherzogtum Luxemburg (300.000 Einwohner) nur noch ein 2/3-Abgeordneter zu.

Weit auseinander driften die Vorstellungen über die Zukunft der EG. Während Italien und Frankreich die politische, teils auch militärische, und wirtschaftliche Integration gar nicht schnell genug gehen kann, melden sich andernorts die Bremser zu Wort. In der BRD war das jüngst Bundesbankchef Pöhl, sekundiert von Finanzminister Waigel, die vor Inflation und anderen Gefahren aus dem wirtschaftlich weniger stabilen EG-Europa warnten. Bei einer Drei-Länder-Reise forderte dagegen Thatcher in der vergangenen Woche die Regierungen der CSFR, Ungarns und der Schweiz, zum Beitritt in die EG auf. Großbritannien würde das unterstützen, versicherte Thatcher. Weshalb? Eine erweitertung der EG würde die politische Integration verlangsamen.

Hinter verschlossenen Türen wird seit Monaten um den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) gerungen. Ursprünglich wollten EG und Europäische Freihandelszone (EFTA) bis Jahresende einen Vertrag abschließen. Doch davon ist längst nicht mehr die Rede. Die sechs EFTA- Mitglieder und Liechtenstein wollen sich nicht einfach mit den real existierenden Bestimmungen des Senior-Partners EG abfinden. Auch untereinander sind die EFTA-Länder uneins: Die einen wollen ihre strengeren Umwelt- und Verbraucherschutzgesetze vor der EG retten, die anderen wollen am liebsten Vollmitglied der EG werden. Der Gemeinschaft dürfte es recht sein. Wie sonst ließe sich der Beitrittselan besser dämpfen?

Hohe Wellen schlägt die Debatte um eine EG-Vertretung im Weltsicherheitsrat. Losgetreten hatte sie der Moskauer Deutschlandexperte, Portugalow, als er vorschlug, dem größeren Deutschland einen Platz in dem UNO-Gremium zu geben. Der italienische Präsident Andreotti modifizierte das sowjetische Ansinnen in den Vorschlag, einen gemeinsamen EG-Sitz im Weltsicherheitsrat einzurichten. Frankreich und Großbritannien, die bereits in dem Gremium vertreten sind, reagierten empört.

Seit Beginn der Golfkrise wird der Auf- und Ausbau einer gemeinsamen Verteidigungspolitik debattiert. Italien schlug vor, die Westeuropäische Union (WEU, der alle EG-Mitglieder außer Irland, Dänemark und Griechenland angehören) an den EG-Vertrag zu koppeln. Der Präsident der EG-Kommission, Delors, erwägt die Bildung einer europäischen Eingreiftruppe. Die Nato beobachtet das Treiben wohlwollend, vorausgesetzt, die atlantischen Verpflichtungen werden eingehalten. Das neutrale Irland allerdings zeigte sich besorgt. dora