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Treudeutsch und „kulturell anerkannt“

Deutschlands meistbestiegener Berg — der Drachenfels/ Pro Jahr eine Million Mal Gipfelgefühl  ■ Vom Berg: Bernd Müllender

Der übliche sommerliche Königswinterer Sonntagsnachmittags- Rheinufer-Autostau, zwischen „Café Vater Rhein“, dem „Hotel Loreley“ und „Haus Germania — garni“. Endlich ein Parkplatz. Los gehts. Die mit Kniebundhosen und Stock gehen zu Fuß über die Asphaltwege bergan. Als Alternative gibt's Eselritte, Kutschfahrten und „das schönste Erlebnis am Rhein“, die Fahrt mit der ältesten Zahnradbahn des Landes (1883). Das macht neugierig, also besteigen wir ihn nicht, den Fels des Drachen, sondern befahren ihn. Auf halber Strecke wirbt ein Schild „Kulturell anerkannt“ für die beigeordneten Attraktionen Drachenhöhle und Reptilienzoo. Das weckt Erwartungen. Kulturell anerkannt!

321 Meter ragt der Drachenfels empor — nicht gerade schwindelerregend, aber dafür aus reinstem vulkanischen Trachytgestein. Ein altes Denkmal bekennt: „Deutsch und treu für immer“ — auch dieser Spruch keine Seltenheit in der Republik. Eine Burg soll hier oben einmal gestanden haben — nicht eben selten am Rhein. Heute ein Ruinenbrocken — und der ist sogar abgesperrt. Was nur also läßt die Deutschen so konkurrenzlos massenhaft den Drachenfels erklimmen (eine Million pro Jahr), ihren Lieblingshügel seit anno immerschon und heute den angeblich meistbestiegenen Berg Europas?

Die Aussicht, natürlich. Otto Normalverbraucher spürt das Faustische in sich. Kaum oben angekommen, streben Familienhaufen zum abgegitterten Felsrand, entdecken den väterlichen Heimatfluß, wie er aus den Gebirgsausläufern im Süden herausgeschlängelt kommt: „Guck mal, dieser Blick“, heißt es. „Das allein ist schon die Fahrt wert gewesen.“ Rüstige Rentnerscharen zählen die restlichen 6 vom 7-Gebirge. „Schön“, nein: „wunderschön“, besser: „herrlich, neinneiennein“. Sogar: „Sehr schön“. Deutsche Glücksmomente bei Fernsicht. Alles so schön weit hier. Jessica sagt „Was?“ statt „Wie bitte?“, und bekommt kein Eis. Schlendern im Müßiggang. An alles ist gedacht: Kaffee und Kuchen, Imbiß (1/2 Meter Wurst: 3,90 DM ), Spielhalle, Kitschläden, Fernrohre und der „Sprechende Automat“, der geschichtliche Hintergründe abspult. Der Drachenfels ist was fürs Herz und fürs Gemüt. Sie, offenselig: „Es ist hier so schön romantisch.“ Er, mürrisch: „Ist mir gar nicht aufgefallen.“ Das gibt Streit.

Mystisch, romantisierend und sogar geheimnisvoll ist schon der Name mit dem Drachen. Wenn auch die Sage um den Drachen dieses Berges nur mäßig sagen-haft ist: er feuerhauchte immer die vorbeituckernden Rheinschiffe an, um sich Jungfrauen- und Essensopfer zu erzwingen. Da kam das Schiff mit Pulverladung — und mit einem Knall hatte es sich ausgehaucht. Aber Drache kommt halt — siehe Siegfried — in der deutschen Mythologie traditionell immer gut.

Das Design des deutschen Lieblingsberges ist wie beim Schöpfer in Auftrag gegeben. Steil der Aufstieg, aber für jeden zu schaffen, und jeder kann nachher glauben, etwas gesundheitsfördernde Bewegung abgeleistet zu haben. Gerade so hoch, daß der Sonntagsausflug zeitlich hineinpaßt in das Loch zwischen Sauerbraten und Sportschau. Nah bei Köln und Bonn, somit schnell erreichbare Attraktion neben den Metropolen, und zudem — von oben — mit direkter visueller Anbindung an die Weite der Rheintal-Natur.

Der Drachenfels wurde zum Ausflugs-Dorado in Zeiten, als noch nicht jeder schnell überall hinkonnte. Hierher kam man seit jeher mühelos auch ohne Auto. Heute ruft der Berg immer noch, aus Tradition, und alle wollen mal dahin, wo alle anderen schon mal waren: Neben den unvermeidlichen Familienhorden sind unerwartet viele junge Leute da — zwischen Vollpröll und Spätfreak. Manche beleben auch ihre Kindheitserinnerung: „Hier war ich mal als kleiner Junge“, sagt einer, der jetzt als Wandersmann des „Schwarzwälder Alpenvereins“ hochgestapft ist, „sieht ja noch genauso aus wie früher.“

Und: der Drachenfels paßt ideal zur rheinischen Mentalität. Diese zeichnet sich bekanntlich dadurch aus, daß jeder gerne zeigt und erklärt und schwätzt und vermeintliches Wissen demonstriert. Der Drachengipfel ist dazu ein ideales Betätigungsfeld: Mit Überblick gibt meist Vater seine Erklärungen. Geographisches zum Beispiel: „Da vorne, wo es hochgeht, fängt die Eifel an.“ Oder Verkehrspolitisches: „Da drüben soll der umstrittene Beueler Bahnhof hinkommen.“ Bauhistorisches: „Da hinten, siehste, der Kölner Dom, der ist aus Gestein vom Drachenfels gebaut.“ Weinseliges: „Am Hang dort unten wächst das Drachenblut.“ Oder profan Geschichtliches: „Da links hat der junge Adenauer gewohnt.“ „Keine Experimente“, scheint der Berg zu antworten. Drachenfels, da weiß man, was man hat.

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