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Büros, Puffs, Praxen — das Geschäft im Wohnzimmer

Wohnraumvernichtung durch Zweckentfremdung: Auch Zwangsgelder bis 100.000 DM können geldgierige Hausbesitzer nicht stoppen — und die Wohnungslosigkeit wächst ...  ■ EVA SCHWEITZER

BERLIN

Etwas unschlüssig stehen die beiden Polizisten mit Dienstwaffe und Uniform im Flur der Gründerzeitvilla im Grunewald. Durch die Flure im Erdgeschoß zieht Baustadtrat Uwe Szelag mit einer Truppe protokollierender Beamter und sammelt Beweise. Drei der acht Wohnungen werden von der Firma »Beletage« offensichtlich als Büros zweckentfremdet. Und dagegen hat Szelag etwas: »Das vernichtet billigen Wohnraum«, klagt der AL-Politiker. Das massive Einschreiten des Wilmersdorfer Bezirksamtes ist zwar vergleichsweise ungewöhnlich. Nicht ungewöhnlich ist es jedoch, daß Vermieter die schnelle Mark machen, indem sie schicke Altbauwohnungen mit Stuckdecken und Flügeltüren als Arztpraxen oder Steuerbüros, als Kanzleien, Puffs oder Agenturen weitaus teurer vermieten. Seit einem halben Jahr gehen die Baubehörden verstärkt dagegen vor, denn die Wohnungsnot ist groß, und neue Wohnungen zu bauen ist teurer, als alte Wohnungen »wiederzufinden«.

»Wir haben schon geahnt, daß das irgendwie nicht so ganz in Ordnung ist«, meint Franz M.*, Inhaber eines Versicherungsbüros. Aber nur geahnt. Das Büro mit seinem halben Dutzend Mitarbeitern residierte jahrelang in der Friedenauer Bundesallee. Anfangs wohnte einer der Inhaber ebenfalls in der großen Wohnung. »Teilgewerblich« nennt sich das dann, und dies bedarf keiner Erlaubnis. Dann zog der Mann aber aus, Franz M. registrierte erfreut, daß es jetzt Platz für Schreibtische neuer Mitarbeiter gab. Als das Versicherungsbüro die Rechtsform wechselte und sich von einer OHG zu einer GmbH wandelte, bekam die Firma schließlich Ärger. Denn das Gewerbeamt, dem das mitgeteilt wurde, benachrichtigte das Steglitzer Wohnungsamt. »Da kam ein Typ vom Wohnungsamt vorbei und schnüffelte im Haus herum«, berichtete Franz M. Das Amt schickte dem Vermieter mehrere Bußgeldbescheide, und der trat seinen Gewerbemietern auf die Füße. »Zum Glück haben wir bald preiswerte Gewerberäume in Tempelhof gefunden«, schließt Franz M.

100.000 DM Zwangsgeld — da kommen auch Hausbesitzer ins Schwitzen ...

Seit 1972 ist die Zweckentfremdung von Wohnungen in Berlin verboten. Zum 1.4.90 verschärfte das Abgeordnetenhaus die entsprechenden Gesetze. Das heißt unter anderem, daß die Zwangsgelder für Zweckentfremdung deutlich erhöht wurden: Bis zu 100.000 DM können nun dem Vermieter angedroht werden, zuvor waren es nur 2.000 DM. In hartnäckigen Fällen kann dem Eigentümer vom Amt sogar ein Treuhänder vor die Nase gesetzt werden. Und seitdem können die Bezirksämter auch gegen den illegalen Gewerbemieter vorgehen und nicht nur, wie bisher, gegen den Vermieter. Das zeigt bereits Auswirkungen: Von Juli 1989 bis Juli 1990 wurden in Berlin über 11.000 Zweckentfremdungen beantragt, genehmigt wurden nur 250, davon 66 mit Ausgleichszahlungen von 150 bis 1.500 DM pro Quadratmeter, je nach Alter des Gebäudes. In den Jahren davor wurden im Schnitt doppelt so viele Zweckentfremdungen genehmigt. Gleichzeitig wurden bis Juli 1990 1.527 Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen illegaler Zweckentfremdungen eingeleitet und 2,2 Millionen DM an Geldbußen verhängt — fast doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Zugeschlagen wurde in Wilmersdorf, Charlottenburg und Schöneberg.

Es bleibt aber eine erhebliche Dunkelziffer an Zweckentfremdungen, wie es der Leiter des Tiergartener Wohnungsamtes, Simon, im Sommer beschrieb. Im Jahr 1989 seien dem Tiergartener Bauamt 248 Fälle von Zweckentfremdung von Wohnungen bekanntgeworden. Nur 12 davon seien genehmigt gewesen, »den Rest haben wir rausgeworfen«, meint Simon. Dabei könne das Bezirksamt längst nicht jedem Fall nachgehen. »Wir haben nur drei Mitarbeiter im Außendienst, und die kümmern sich auch um anderes, zum Beispiel um Leerstand«, sagt Simon.

Aber nicht jeder Versuch, die Wohnung zum Büro umzumodeln, ist illegal, zumindest nicht nach Meinung der Senatsbauverwaltung, wie auch Baustadtrat Szelag nach seiner Razzia im Grunewald feststellen mußte. »Wenn der Vermieter einen gleichgroßen Ersatzwohnraum schafft, dann muß man die Zweckentfremdung genehmigen«, erläutert Senatsmitarbeiterin Regel. Es reicht aus, wenn der Vermieter das Dachgeschoß ausbaut. Das dürfte erklären, warum bei privat modernisierten Häusern sich meist »automatisch« eine Etage in lukrativen Gewerberaum wandelt. Im Fall der Wilmersdorfer Villa liegen Bezirk und Senat noch im Clinch. Zwar will die »Beletage« auch dort die Dachgeschosse als Ersatz ausbauen. Aber diese Wohnungen, stellte Szelag fest, sind kleiner und teurer als der zweckentfremdete Wohnraum und würden zudem Jahre später fertig.

Schlafen im Büro — und schon ist's »teilgewerblich«

Ebenfalls nicht genehmigt werden muß teilgewerbliche Zweckentfremdung. Wohl deshalb kam vermutlich die Logopädiepraxis von Helmut R.* im Wedding davon. Logopäden bringen sprachbehinderten Menschen bei, sich zu artikulieren, und die Praxis von Helmut R. ist die einzige weit und breit, sie führt eine Warteliste von einem Jahr. Auch dort tauchte nach mehreren brieflichen Kontaktversuchen der Kontrollbesuch vom Wohnungsamt auf. Zwar galt die Wohnung als teilgewerblich, jedoch der Anteil der Wohnfläche war deutlich kleiner als der der Praxisräume. Der Mann vom Wohnungsamt sah sich um und verließ das Haus mit den Worten: »Ich sehe ja, daß Sie hier kein Bordell betreiben.« Seither hörte Helmut R. nie wieder etwas vom Amt.

Eine teilgewerbliche Nutzung braucht nicht eigens angemeldet zu werden, wenn der Mieter keine andere Wohnung in Berlin hat. Auch da will der Senat an den Speck. Künftig soll gelten, daß mehr als fünfzig Prozent der Wohnungsfläche nicht gewerblich genutzt werden dürfen — sonst fällt es unter Zweckentfremdung. Eine Verschärfung der Rechtslage ist durchaus im Interesse der Mieter, die nur wohnen wollen. »Manche Eigentümer vermieten normale Wohnungen als teilgewerblich, um so die gesetzlich vorgeschriebene Höchstmiete zu unterlaufen. Und die Mieter unterschreiben einen solchen Vertrag, obwohl sie gar kein Gewerbe haben, nur um die Wohnung zu bekommen«, gibt AL-Baupolitiker Volker Härtig zu bedenken. Denn die Gewerbe- oder Teilgewerbemieter sind oft genug die Dummen. Der Schutz des Gewerbemieters fällt bekanntermaßen weit hinter den normalen Mieterschutz zurück. Gewerbemieten sind völlig frei vereinbar, und es gilt kein Kündigungsschutz außer für die Dauer des Vertrages.

Genehmigt wird Zweckentfremdung außerdem dann, wenn das Gewerbe von öffentlichem Interesse ist wie zum Beispiel eine Kita. Mit dieser Begründung sind noch bis vor einem Jahr zahlreiche Wohnungen — befristet — in Aussiedlerheime umgewandelt worden. Und selbst der Tiergartener Sanierungsträger S.T.E.R.N. residiert vorübergehend in einer zweckentfremdeten Wohnung.

Studentenbuden und Behinderten-WGs als unfreiwillige »Gewerbe«

Gezwungenermaßen zweckentfremden muß eine Kategorie unfreiwilliger Gewerbemieter, die eigentlich nur wohnen. Sie leben in Häusern oder Wohnungen, die sich nicht direkt vom Hauseigentümer, sondern über einen Träger gemietet haben. Das kirchennahe Martinswerk etwa, ein gemeinnütziger Verein, mietet Wohnungen an und vermietet sie ohne Aufpreis meist an Studenten weiter. Sinn der Sache ist, den Vermietern die Sicherheit eines seriösen Mietzahlers zu geben und gleichzeitig wenig betuchten jungen Leuten Wohnraum zu verschaffen. Seit 1982 stritt das Martinswerk bis zum Oberlandesgericht, das die Ansicht vertrat, die Verträge zwischen Martinswerk und jeweiligem Vermieter seien Gewerbeverträge. »Und dies, obwohl wir nicht daran verdienen«, meint Martinswerk-Vorstand Karcher. Das ist nicht nur für die einzelnen Mieter ärgerlich. Auch das Martinswerk verliert so immer wieder Studentenwohnungen. Betroffen davon seien alleine beim Martinswerk etwa 150 Menschen. Auch andere Wohlfahrtsverbände haben solche Mietverträge, und bei therapeutischen Wohngemeinschaften sind sie sogar die Regel.

Auch »echte«, ehrliche Gewerbemieter haben heutzutage oft nichts zu lachen. Da gibt es Fälle wie den des Ausbildungszentrums für Gestalttherapie von Frau S.* in Schöneberg, das unwissend nichtgewerbliche Wohnräume bezogen hatte. »Die Wohnung ist uns als Gewerbe vermietet worden, und erst als das Wohnungsamt Druck auf den Vermieter machte, kam raus, daß das verboten gewesen wäre«, erzählt Frida S. Nun versuchte der Vermieter, die Gewerbemieter zu kündigen, verlor aber die Räumungsklage. Inzwischen geht das Bezirksamt gegen Frau S. direkt vor. Wie es ausgeht, steht noch in den Sternen. Falls sie ausziehen muß, kann sie zumindest ihren Vermieter auf Schadensersatz verklagen — ein schwacher Trost.

Gewerbetreibende mieten sich ja nicht im Wohnraum ein, um die Wohnungsämter zu ärgern, sondern weil es mindestens so schwierig ist, preiswerten Gewerberaum zu bekommen wie preiswerten Wohnraum. Zwischen zehn und dreißig Mark kalt kostet eine Berliner Durchschnittsbüromiete inzwischen. Und die 240.000 Quadratmeter Bürofläche, die seit 1985 hier neu gebaut wurde, reichen bei weitem nicht aus.

Auch viele Parlamentarier zweckentfremden Wohnraum

»Die Bezirksämter sollen die Kirche im Dorf lassen«, meint deshalb der Sprecher der Wirtschaftsverwaltung, Heinze. Wenn eine Arzt- oder Anwaltspraxis jahrelang bestehe und womöglich wegen eines rabiaten Wohnungsamtes wegziehen müsse, gefährde das Arbeitsplätze. »Denken Sie mal an die vielen mittelständischen Betriebe, die können sich eine Neubauetage gar nicht leisten«, argumentierte auch Haus- und Grundbesitzer-Verbandssprecher Blümmel im Abgeordnetenhaus. Außerdem predigten die Abgeordneten Wasser und tränken heimlich Wein, zitierte Blümmel Heinrich Heine. Denn Blümmel hat eine Liste mit den Namen all jener Abgeordneten, die in zweckentfremdetem Wohnraum arbeiten. Die soll dem Vernehmen nach drei Seiten umfassen — war aber trotz diverser psychologischer Tricks bislang nicht zu beschaffen.

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