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Stetes Flimmern höhlt das Hirn

Ein Rundfunk- und Fernsehfestival in Palermo: Der 42. Prix Italia  ■ Von Frieder Reininghaus

Der Auftakt des „Prix Italia“, dieses Jahr in Palermo auf dem Castello Utveggio hoch über der von Mafia-Anschlägen gebeutelten Stadt, fiel wieder einmal höchst theatralisch aus. Die gastgebende römische RAI gab die televisionäre „Vereinigung“ Europas und Nordafrikas bekannt. Wer nun glaubte, die ausgekochten italienischen Mediengeschäftsleute kämen brüderlich mit den Staatsfunktionären für Propaganda und Unterhaltung von der anderen Seite des Mittelmeeres zusammen, das sich getäuscht. Ganz einfach: die RAI produziert künftig ein saftiges Gulasch-Programm für die Levante und die Nordkante des schwarzen Kontinentes. Mehr spielt sich nicht ab.

Golfkrise? Man liegt hier zwar innerhalb der Reichweite von Saddam Husseins Mittelstreckenraketen, aber das scheint kein Thema, obwohl es beim Prix Italia um nichts anderes als die Prämierung herausragender Rundfunk- und Fernsehsendungen aus den zurückliegenden zwölf Monaten (in acht Sparten mit insgesamt 15 Preisen) geht. Amerikaner und Westeuropäer haben ihre Kanonenboote und eine Luft-Armada geschickt, aber vielleicht erreichen die Italiener ja mit gezielt ausgewählten Bildern von flotten Popstars und beredten Entertainern mehr. Da muß man abwarten. Denn die Mitwirkung der elektronischen Medien bei der Zermürbung von Gegnern basiert auf dem Prinzip: Stetes Flimmern höhlt das Hirn.

Rapider Wandel in Osteuropa? Auch da ist das Verblüffende die weitgehende Ignoranz. Zwar wird der Prix Italia auch von Japan, Australien, Indien, Korea und Nordamerika beschickt, aber rund 80 Prozent der Einreichungen kommen aus Europa. Es wäre absonderlich, wenn sich unmittelbare und vermittelte Reaktionen im Programm des Prix Italia nicht niedergeschlagen hätten. Aber unter den hundert preisverdächtigen Fernsehsendungen und der gleichen Anzahl Rundfunkproduktionen blieben sie eine kleine radikale Minderheit. Vom ARD-Fernsehen wurde der Zusammenschnitt vom Tag der Maueröffnung ins Rennen geschickt — dieser „Durchbruch“ zeigte freilich kaum die Fähigkeit zur Reflexion im Medium und des Mediums Fernsehen, eher die Desiderate eines mit heißer Nadel gestrickten Programms und deutsche Penetranz.

Ein ORF-Hörspiel packte das Thema Rumänien mit wohltuendem Sarkasmus an (erhielt dafür eine lobende Erwähung der Juroren, aber mehr auch nicht). Preiswürdig erschien ein Radio-Monolog von Ingamr Bergmann über eine Frau in mittleren Jahren, die, mit dem plötzlichen Tod ihres Mannes konfrontiert, ihrer Einsamkeit gewahr wird; dann vor allem ein australisches Hörstück über den Sommer 1962, in dem ein Junge seine Familienmisere vor dem Hintergrund der Kuba-Krise reflektiert.

Aus Spanien kam eine Arbeit zu Ehren über die Ausgrenzung eines an Aids erkrankten Kindes, aus Dänemark eine Dokumentation über die verstörten Beziehungen in einer Familie nach dem Selbstmord des Sohnes. Eine Musikproduktion aus der Slowakei integrierte die Demonstrationsparolen des vergangenen Winters, veredelte sie in elektronischem Kontext.

Entsprechend beim Fernsehen: Boleslaw Suliks harte Bilder zu Krzysztof Pendereckis Musik, dies „polnische Requiem“ ist gewiß so erst durch die jüngste Entwicklung im Land denkbar. Aus der DDR aber, die von den Veränderungen letal betroffen ist, kamen Beiträge, die so taten, als wäre in den letzten zwölf Monaten im Grunde gar nichts geschehen. Da lief ein Hörstück, das suggerierte, der DDR-Normalbürger könne noch immer nicht von Leipzig nach Nürnberg fahren, nach Spanien schon gar nicht — und auch 1992 nicht.

Manche Themen scheinen förmlich in der Luft zu liegen. Gleich zweimal kam Jean Cocteaus und Francis Poulencs „La voix humaine“ als Film zum Wettbewerb — dies Durchmessen aller Aggegratzustände der weiblichen Gefühle, dieser große Monolog der verlassenen Frau am Telefon. Neben solchen französischen und portugiesischen Innenansichten der Gefühlswelt in den Hochzeiten der Moderne zwei Annäherungen an den Großmeister der musikalischen Avantgarde: „Eine Reise zu Schönberg“ aus den Niederlanden und aus der Schweiz „Verklärte Nacht“ mit Bahnhofsbildern, welche die Emigrationssituation des Komponisten 1933 beschwören und die Entstehungszeit der Komposition, das Jahr 1899.

Vom ZDF kam ein bemerkenswertes Portrait des Opernregiesseurs Harry Kupfer — da wenigstens wurde die Umbruchsituation angesprochen. Preisgekrönt aber wurden bei den Musikfilmen „The Orchestra“ aus den USA, classical music video clips, und — vom britischen Channel 4 — „Una stravaganza dei Medici“: eine brillant gefilmte Rekonstruktion der Florentiner Intermedien von 1589, die Reanimation der Vorform der Oper mit barockem Maschinenzauber und etwas dünn fließender Musik.

Beim Hörfunk-Musikwettbewerb konnte die ARD ihre Erfolgsserie fortsetzen: Walter Zimmermanns Oper „Die Blinden“ erhielt in einer Aufzeichnung des Hessischen Rundfunks wegen der „Effektivität und Sparsamkeit“ der eingesetzten Mittel und der daraus resultierenden musikdramatischen Spannung einen Spezialpreis. Dieses „statische Drama“ nach Maurice Maeterlincks Einakter von der Jahrhundertwende erscheint als Radiostück tatsächlich plausibler denn als Bühnenwerk: Die Blinden, die von Gott und der Welt, aller Hoffnung und sogar ihrem Führer verlassen sind, signalisieren die Verlassenheit und das hilflose Tasten, jene Zustände, in denen sich die Künstler auf der Suche nach dem Neuen so oft befinden. Zimmermanns Stück stellt tiefes Einverständnis, eine unsichtbare Brücke zu den Freunden des genauen Zuhörens her, die sich von den Medien ja auch oft verlassen fühlen.

Wie der Anfang, so auch der Schluß des 42. Prix Italia. Ein schlampig gegeigtes Konzert in der imposanten Normannen-Kathedrale von Monreale, in der Wilhelm II. begraben liegt. Das Buffet im Dominikaner-Kreuzgang dafür umso aufmerksamer.

Wer noch einen Rest Durchhaltevermögen hatte, nicht zermürbt war von der belagerten Stadt (der Staatspräsident flog ein, um über die Erschießung des gegen die Mafia ermittelnden Richters hinwegzureden), nicht ausgeraubt (außer von der üblichen Ausplünderung durch Wirte und Hoteliers), nicht zum Niedersinken ermattet von der Flut der Bilder und den stundenlang bedröhnten Ohren, der konnte sich quer durch Sizilien nach Agrigent karren lassen, um Statist bei der von den RAI-Kapitänen für die TV-Live-Übertragung inszenierte Sternschnuppen-Show zu sein. Ob die freilich, ins Arabische gebracht und bis in den Irak hineingestrahlt, die Wehrkraft der Heiden Husseins zersetzen half, darf bezweifelt werden.

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