■ NOCH 2282 TAGE BIS ZUM JAHR 2000: "Geld oder Aids!"
Moderne Räuber brauchen keine Schußwaffe oder Messer mehr, um ihr Opfer einzuschüchtern. In Australien kommt gerade eine besonders perverse Art von Raubüberfällen in Mode. Im Land Down Under fordern die Räuber der 90er Jahre nicht mehr „Geld oder Leben“, sondern sind mit blutgefüllten Spritzen bewaffnet und drohen: „Geld oder Aids!“ Diese neue Art von Raubüberfällen wurde populär, nachdem ein Gefangener einen 21jährigen Wärter verletzt und ihn dadurch mit dem Aids-Virus infiziert hatte.
Offiziellen Statistiken zufolge haben fast 2.000 Australier Aids, 1.207 sind bereits an der Krankheit gestorben. Letzte Woche berichtete die Polizei von Sydney erstmals von Spritzenangriffen mit dem Virus. Ein Transvestit verlangte Geld und spritzte einer im fünften Monat schwangeren Bekleidungsverkäuferin „eine rote Flüssigkeit“. Die Panik der Frau nutzte der Täter um mit dem Diebesgut unerkannt zu entkommen. Zwei andere Verbrecher entführten einen Mann und raubten ihn aus. Danch stachen sie ihm zweimal mit einer blutgefüllten Spritze in die Hand und versichertem ihm, er sei jetzt mit Aids infiziert.
Mediziner sprechen allerdings von einem geringen Risiko für die Opfer solcher Anschläge, mit der durch Blut übertragbaren Krankheit angesteckt zu werden. Peter Liehne von der Aids-Hilfe in Canberra sagt, daß niemand das genaue Risiko der Aidsinfizierung durch Nadelstiche kenne. Er wies auf eine Untersuchung von Pflegekräften im Gesundheitswesen hin, die sich an von Aidspatienten benutzten Spritzen verletzt hatten. Laut Liehne hat die Studie gezeigt, daß das Risiko einer Krankheitsübertragung zwischen 1 zu 200 und 1 zu 300 liege. „Diese Erkenntnisse beruhen auf Unfällen“, fügte er hinzu und schätzt, daß das Risiko durch eine einmalige Verletzung ähnlich hoch sei wie bei Bluttransfusionen. „Man muß schon sehr viel Unglück haben, um von einem Nadelstich infiziert zu werden“, meinte Liehne.
Trotzdem steigt die Zahl der Spritzenangriffe an. Der Polizeisprecher von New South Wales, Simon Latimer, klagte, daß diese Überfälle mit Spritzbesteck immer beliebter würden. Er lehnte es aber ab, die genau Anzahl dieser Raubüberfälle zu nennen, weil solche Statistiken vertraulich seien und die Veröffentlichung teilweise einen Werbeeffekt hätten. „Viele der Täter sind Drogenabhängige“, teilte er mit und fügte hinzu: „Spritzen sind leicht erhältliche Waffen.“ Karl Wegmann
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