Stasi-Sondersitzung der Volkskammer: Stasi-Connection in der Volkskammer
■ Die Volkskammer kommt vier Tage vor dem Ende der DDR noch einmal zusammen, um die Berichte der drei Stasi-Ausschüsse zu debattieren. Aber die Stasi-Mitarbeiter sitzen noch mittendrin...
Peter Hildebrand, Vorsitzender des Prüfungsausschusses zur Überprüfung der Mitglieder der Volkskammer auf frühere Stasi-Tätigkeit, wollte heute in der Sitzung der Volkskammer eigentlich Namen nennen. Vor allem den des DDR- Umweltministers Steinberg. Seit zwei Wochen weiß der Prüfungsausschuß sicher, daß Steinberg gegen Geld dem MfS Informationen geliefert hat. Am vergangenen Wochenende war die Prüfungskommission zum zweiten Male im MfS-Archiv in Halle, dort fand er die Verpflichtungserklärung Steinbergs für das MfS, dort fand er den Code-Namen seines Führungsoffiziers, dort liegen „massenweise Berichte“.
Steinberg habe sich de Maizière offenbart, heißt es, und von lange zurückliegenden Vorgängen erzählt, durch die Personen kein Nachteil erwachsen sei. Warum will der Ministerpräsident Steinberg um jeden Preis im Amt halten? Bei einem anderen Minister wird CDU-intern der Sturz vorbereitet: CDU-Innenminister Peter-Michael Diestel. Von ihm gebe es keine Akte, hat Diestel mehrfach stolz behauptet. Es gibt einige prominente Personen, über die es keine Karteikarte in der Stasi-Zentrale Normannenstraße gibt. Diese Karteikarten weisen auf Akten in den dezentralen Stasi-Archiven hin. Von de Maizière gibt es keine Karteikarte, von dem PDS-Vorsitzenden Gysi nicht, nicht von dem evangelischen Konsistorialrat Stolpe und nicht von Diestel. Das ist mehr als ungewöhnlich. Über jeden Jura-Studenten zumindest gab es eine sogenannte „operative Sicherung“, erklärt der stellvertretende Volkskammer-Ausschußvorsitzende, Ralf Geisthardt. Diestel hat Jura studiert. „Das sind Dinge, die einen ein bißchen nachdenklich machen.“ Es gebe „Hinweise, daß Akten gezielt verbracht worden sind“, verrät Geisthardt, allerdings „nicht in der Verantwortung dieser Leute“. Geisthardt korrigiert sich: „... eines Teils dieser Leute.“ Mehr sagt er nicht.
In der CDU mehren sich die Stimmen, die Diestel noch vor dem 3. Oktober stürzen wollen, damit er auch den Spitzenplatz der CDU für Brandenburg verliert. CDU-Chefunterhändler Krause hat Diestel den Rücktritt nahegelegt und erklärt, es sei „etwas Wahres“ an den Vorwürfen, der Minister habe die Arbeit der Stasi-Ausschüsse behindert. Geisthardt ist verbittert: Diestels Ministeriale hätten Krause für die Verhandlungen um den Einigungsvertrag in Sachen Stasi „nicht optimal beraten“, und überhaupt vertrete Diestel ein Konzept der „Datensicherung zum Schutze des Bösen“. Der CDU- Ausschuß-Vize über den CDU-Minister: „Die Vorstellungen von Rechtsstaat des Herrn Diestel decken sich nicht immer mit den meinen.“
Die Zahl der Volkskammerabgeordneten, denen wegen informeller Mitarbeit für die Stasi ganz vertraulich eine Rückgabe ihres Mandates nahegelegt wird, soll inzwischen auf über neun angestiegen sein. Der Prüfungsausschuß hat mehrheitlich gegen die Stimme seines Vorsitzenden Peter Hildebrand beschlossen, daß ihre Namen nicht genannt werden sollen. Aus Protest will die Fraktion Grüne/Bündnis 90 zwei Namen aus den eigenen Reihen nennen — beides weniger schwerwiegende Fälle.
Während sich die Volkskammer- Abgeordneten schwer tun, die kleinen Stasi-Fische unter ihnen herauszufinden und beim Namen zu nennen, scheint der ranghöchste Stasi- Verantwortliche auf der Bundestags- Liste außerhalb jeglicher Diskussion zu stehen: Hans Modrow, SED-Bezirkssekretär in Dresden, war in dieser Funktion automatisch Mitglied der „Bezirkseinsatzleitung“. Mit im Triumvirat dabei war der bezirkliche Chef der Staatssicherheit und der Leiter des Wehrbezirkskommandos. Wie auf DDR-Ebene der Nationale Verteidigungsrat — Chef: Honecker — so war diese Bezirkseinsatzleitung auf bezirklicher Ebene das eigentliche Machtzentrum mit Weisungsrecht auch über die Operationen der Staatssicherheit. Die kleinen Schweiger über ihre Stasi-Verwicklungen haben große Vorbilder. Klaus Wolschner
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