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Saubere Kinder nehmen oral nichts auf!

■ Die Senatsgesundheitsverwaltung rät: Eltern sollten ihre Kinder zur Sauberkeit erziehen, um sie vor Dioxin im Spielplatzsand zu schützen

West-Berlin. Eine verblüffend einfache Lösung gegen die Dioxingefahr auf Kinderspielplätzen hat jetzt die Senatsgesundheitsverwaltung vorgeschlagen: Eltern sollten ihre Sprößlinge zur Sauberkeit erziehen. Für die Gesundheitsverwaltung sei »weniger die Frage der Bodenbelastung von Interesse«, heißt es in einem Brief der Behörde an den Verein »Kind und Umwelt«, sondern »vielmehr die Frage«, wieviel Gift »durch orale Aufnahme in den Körper des Kindes gelangen könnte«. Auch wegen der im Buddelsand stets vorhandenen infektiösen Keime, fährt das am 25. September verfertigte Behördenschreiben fort, »sollte die Erziehung zur Sauberkeit beim Kind möglichst frühzeitig einsetzen, insbesondere dahingehend, daß nicht alles in den Mund genommen wird«.

»Kind-und-Umwelt«-Mitarbeiterin Anja Röhl reagierte auf den guten Ratschlag hocherfreut und ergänzte ihn durch eigene Ideen: »Warum teilt man nicht gleich Schutzanzüge, Gasmasken und Handschuhe an Kinder aus, damit die Industrie immer weiter Gift in die Luft blasen kann?« fragt sich die Vereinssprecherin. Schließlich könne man Kleinkinder gar nicht davon abhalten, auch Sand in den Mund zu nehmen. Statt »zynischer« Antworten, so Röhl zur taz, habe sie von der Senatsverwaltung eigentlich Auskunft erwartet, ob Berliner Spielplätze bereits auf das Seveso-Gift Dioxin untersucht wurden und welche Werte herausgekommen seien. Hintergrund: Auf westdeutschen Plätzen waren in letzter Zeit zum Teil dramatische Dioxinbelastungen festgestellt worden.

Die Formulierung des Behördenbriefs sei »sehr unglücklich«, räumte Rita Hermanns, die Sprecherin von Gesundheitssenatorin Ingrid Stahmer (SPD), gestern ein. Für Spielplatzuntersuchungen seien eigentlich aber die Stadtbezirke zuständig, nicht der Senat, gab die Sprecherin den Schwarzen Peter weiter. Die Charlottenburger Gesundheitsstadträtin Annette Schwarzenau (AL) hingegen empfindet den patzigen Senatsbrief an »Kind und Umwelt« als symptomatisch. Die Bezirke würden von der in dieser Frage »idiotischen« Senatsgesundheitsverwaltung »allein gelassen«, klagt die Stadträtin. Sie will jetzt drei bis vier der insgesamt etwa hundert Charlottenburger Spielplätze auf Dioxin untersuchen lassen. Finanzielle Unterstützung habe nur die Senatsumweltverwaltung zugesagt, nicht Stahmers Gesundheitsbehörde, klagt Schwarzenau.

Daneben planten auch Schöneberg, Steglitz und Kreuzberg eigene Dioxinfahndungen im Buddelkasten, erklärte gestern der Referent in der Umweltbehörde, Schwilling. Dioxinuntersuchungen habe man auch dem Bezirk Wilmersdorf für den Spielplatz im Preußenpark am Fehrbelliner Platz empfohlen. Hier hat die Umweltbehörde bereits eine hohe Dioxinbelastung des Bodens festgestellt. hmt

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