Kaum Chancen

■ Die SPD feierte ihren Kandidaten — doch gewinnen wird er den Wahlkampf wohl kaum KOMMENTARE

Die Sozialdemokraten feierten Oskar Lafontaine. Nach seiner Rede auf dem Parteitag klatschten sie gestern minutenlang im Takt. Der Kanzlerkandidat gab sogar noch eine Zugabe: „Ich kann und will gewinnen“, rief er den Genossen zu. Karl-Heinz Hiersemann, der bayerische Landesvorsitzende, machte dann wieder alles kaputt: „Recht haben allein reicht nicht“, zitierte er die Zeitungen. Trotzdem sei es schon gut, wenn die Journalisten schrieben, die Sozialdemokraten „hätten recht gehabt“.

In diesem Zwiespalt stecken die Sozialdemokraten und ihr Kanzlerkandidat: Sie müssen Optimismus zur Schau tragen und wissen doch zu genau, daß sie kaum eine Chance haben. In seiner gefeierten Rede pries Lafontaine das Regierungsprogramm seiner Partei an: Öko-Abgaben, Ausstieg aus der Atomenergie, Arbeitszeitverkürzung. Leider ist mit diesen Themen in den ostdeutschen Ländern kein Wahlkampf zu gewinnen. Mit seiner richtigen Forderung nach mehr Umsatzsteuern wird er auch im Westen alle, die erstmal ans eigene Portemonnaie denken, vergrätzen.

Das Pech des Oskar Lafontaine: Durch die Wiedervereinigung ging seine Chance, Kanzler zu werden perdu. Es ist ihm anzurechnen, daß er sich von der Stimmung im Lande nicht zu nationalistischem Pathos hinreißen ließ. Sein Plädoyer wider „die Versuchung, Weltmacht spielen zu wollen“ steht im genauen Gegensatz zu dem Wir-sind-wieder-wer-Gedröhne der CDU-Politiker. Aber er ist und bleibt auch der alte Populist und fordert nach wie vor „Schritte gegen den Mißbrauch des Asylrechts“, mithin „Quoten des Zuzugs“. Will er wirklich jene, die aus Not und Krieg fliehen und zu uns flüchten, zurückschicken?

Es besteht die Gefahr, daß die SPD — wie die bundesrepublikanische Gesellschaft insgesamt — durch die Vereinigung immer weiter ins Konservative zurücktreibt. Mit ökologischer und feministischer Politik haben die „Ossies“ nicht viel am Hut. Sie denken, diese stehe im Gegensatz zum schnellen Erreichen eines besseren Lebensstandards in der DDR. Ein gleiches Aufteilen von Erwerbsarbeit und Familie zwischen Männern und Frauen und der ökologische Umbau der Industrie sind damit heute unrealistischer als noch vor einem Jahr.

Eines jedoch könnte der SPD gut tun: Ein kluger, kämpferischer Wolfgang Thierse als stellvertretender Vorsitzender und die engagierte Ex-Arbeitsministerin Regine Hildebrandt im Vorstand. Um sein standing bei den Ost-Sozis braucht sich Lafontaine jedenfalls keine großen Sorgen mehr zu machen. Obwohl ihn auch gestern nochmal eine Delegierte aus der DDR einen „Absolutisten“ nannte, wählten ihn seine Genossen in geheimer Abstimmung mit nur vier Gegenstimmen zum Kanzlerkandidaten. Ob er die Nerven hat, wenn es diesmal nicht klappt, bei der nächsten Bundestagswahl wieder zu kandidieren? Tina Stadlmayer