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Vom Dach gestiegen

■ Erste Häftlinge entlassen/ Lage in den Knästen beruhigt/ Revoltenführer: Amnestie unzureichend

Berlin (taz/ap/adn) — Nach der Verabschiedung einer Teilamnestie durch die Volkskammer hat die DDR-Justiz am späten Sonnabend die ersten Häftlinge entlassen.

Unmittelbar nach dem Amnestiebeschluß, wonach außer für Mörder, Kriegsverbrecher sowie Sexual- und Gewaltverbrecher vor dem 1. Juli verhängte Freiheitsstrafen um ein Drittel verkürzt werden sollen, war die Häftlingsrevolte in der Nacht zum Samstag kurzfristig eskaliert. So stürmten 60 Untersuchungshäftlinge das Dach der Strafanstalt in Dresden und drohten damit, daß jede Stunde ein Häftling herunterspringen werde.

Die Situation entkrampfte sich erst, nachdem Innenminister Peter- Michael Diestel sich zu einem Gespräch mit den Häftlingen eingefunden hatte. Auch in Magdeburg, Bützow, Bautzen und Leipzig revoltierten Gefangene.

Am Samstag nachmittag kehrte dann in allen Knästen wieder Ruhe ein. In Brandenburg, wo die Revolte begonnen hatte, kehrten die Gefangenen zwar in ihre Zellen zurück, warfen dem Parlament aber Ignoranz vor. Die Volksvertreter hätten das Problem der politischen Bewertung von rein kriminellen Straftatbeständen durch die alte SED-Justiz und damit überzogener Strafen nicht erkannt, erklärten sie.

Eine erste Aktendurchsicht in Cottbus ergab, daß etwa 70 Prozent der Häftlinge die Strafzeit ermäßigt wird. In der Strafvollzugsanstalt in Berlin-Rummelsburg, die bis zum Sonntagmorgen bereits für 11 Häftlinge die Tore öffnete, können weitere 30 der insgesamt 130 Insassen mit Amnestierung rechnen.

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