: In der „Angelegenheit Prof. Havemann“...
■ Wie 1964 eine Publikation des Philosophen, Kommunisten und Regimekritikers Robert Havemann von der SED verhindert wurde: Dokumentation einer Zensur
Am 8.4.1964 schickte der Verlagsleiter des Dietz Verlages eine „Hausmitteilung“ an „Gen.Kurt Tiedke, Abt.Propaganda“:
Werter Genosse Tiedke!
In der Anlage schicke ich Dir zu Deiner Kenntnisnahme zwei Abschriften eines Briefes von Robert Havemann, der heute in unserem Verlag einging. Ich bitte Dich, einen Durchschlag des Briefes dem Genossen Kurt Hager zur Kenntnis zu geben. Selbstverständlich werden wir die Skripten Havemanns keinesfalls im Parteiverlag veröffentlichen. Wir werden den Brief sinngemäß so beantworten, daß nach unserer Kenntis seine Vorlesungsreihe nicht den wissenschaftlichen Anforderungen entspricht, die heute an sie gestellt werden müssen, und daß sie deshalb für eine Veröffentlichung im Parteiverlag nicht in Frage kommt.
Wie aus dem Brief ersichtlich, hat sich Havemann aber auch mit anderen Verlagen in Verbindung gesetzt. Es besteht die Möglichkeit, daß er mit den Ablehnungen der DDR-Verlage rechnet, um dann einen westdeutschen Verleger für seine Veröffentlichung zu interessieren. Wir werden mit der Beantwortung seines Briefes bis zum 15.4.64 warten. Sollten sich von Euch bis dahin für die Antwort noch neue Gesichtspunkte ergeben, bitte ich um Nachricht. Den Genossen Bruno Haid vom Ministerium für Kultur habe ich von dem Brief Havemanns an uns und an andere Verlage der DDR informiert.
Mit sozialistischem Gruß
Günter Hennig
Dem Brief lagen zwei „Abschrift“- Exemplare vom „8.4.64“ des Briefes von Havemann an den Dietz Verlag (vom 6.4.64) bei:
Sehr geehrte Herren!
Meine Vorlesungsreihe „Naturwissenschaftliche Aspekte philosophischer Proleme“ ist in jüngerer Zeit Gegenstand des öffentlichen Interesses geworden. Da im In- und Ausland laufend zahlreiche von mir nicht autorisierte Auszüge aus den Skripten dieser Vorlesung veröffentlicht werden, sowohl in Zeitungen und Zeitschriften wie auch in Rundfunksendungen, bin ich daran interessiert, daß eine von mir autorisierte Ausgabe als Buch veröffentlicht wird. Nur auf diese Weise kann verhindert werden, daß weiterhin von dem Text meiner Skripten aus dem Zusammenhang gerissene und dadurch sinnentstellende Auszüge veröffentlicht werden. Außerdem bin ich als Autor an der Sicherung der Priorität meines geistigen Eigentums interessiert. Ich wende mich darum mit der Anfrage an Sie, ob Sie daran interessiert sind, die Vorlesungsskripte in Ihrem Verlag zu veröffentlichen. Da ich bereits mit anderen Verlagen in Verhandlungen stehe, bitte ich Sie höflichst, mir auf diese Anfrage möglichst bald zu antworten. Wenn ich nach Ablauf von 2 Wochen nach Absendung dieses Briefes keine Antwort von Ihnen erhalte, nehme ich an, daß Sie an einer Veröffentlichung nicht interessiert sind. Wenn Sie interessiert sind, werde ich Ihnen umgehend das Manuskript zusenden.
Hochachtungsvoll gez. Havemann
(Prof.Dr.R.Havemann)
„Genosse Tiedke“ erhielt die Kopie einer weiteren „Hausmitteilung“, die der Verlagsleiter Hennig am 9.4.64 an „Gen.Prof.K.Hager, Ideolog.Kommission beim Politbüro“ schickte.
Werter Genosse Hager!
In der Anlage schicke ich Dir den Entwurf eines Antwortbriefes an Robert Havemann zur Prüfung. Meine Absicht ist es, mit diesem Brief keinerlei Zusagen für eine Veröffentlichung des Manuskripts zu geben und gleichzeitig die Möglichkeit, das geschlossene Manuskript zur Kenntis zu bekommen, zu sichern. Ich bitte Dich, mir Deine Meinung zu unserem Antwortbrief zukommen zu lassen, damit wir ihn in der von Havemann genannten Frist von zwei Wochen an ihn abschicken können.
Mit sozialistischem Gruß
(Unterschrift) Günter Hennig
Die Meinung von „Genosse Hager“ wurde hierzu erbeten:
E n t w u r f
Berlin, den ...
Herrn Prof.Dr.Robert Havemann
Berlin017
Strausberger Platz 19
Sehr geehrter Herr Prof.Dr.Havemann!
In Ihrem Brief vom 6.4.64 bieten Sie unserem Verlag Ihre Vorlesungsreihe „Naturwissenchaftliche Aspekte philosophischer Probleme“ zur Veröffentlichung an. Nach unserer bisherigen Kenntnis Ihrer Vorlesungsreihe sind eine Reihe Ihrer Darlegungen zu den aufgeworfenen Fragen in Bezug auf die erreichten Erkenntnisse der Gesellschaftswissenschaften unserer Zeit in mancherlei Hinsicht problematisch und auch anfechtbar. Daraus können wir aber zur Zeit noch kein Urteil über die Publikationsmöglichkeiten Ihrer Vorlesungsreihe ableiten. Ich möchte Ihnen deshalb vorschlagen, uns das Manuskript Ihrer Vorlesungsreihe zunächst unverbindlich zuzuschicken. Nach einer Prüfung in unserem Verlag würden wir Ihnen verbindlich erklären können, ob das Manuskript für eine Veröffentlichung durch uns in Frage kommt oder nicht. Natürlich werden wir uns um eine rasche Prüfung des Manuskripts bemühen.
Ich würde es begrüßen, wenn Sie unserem Vorschlag nahetreten und uns Ihre Meinung bald wissen lassen.
Hochachtungsvoll
Deitz Verlag Berlin
Robert Havemann war Mitglied der „Deutschen Akademie der Wissenschaften“ (DAW), und das „Sekretariat des Präsidenten“ der DAW hatte sich mit dem Mitglied Havemann zu befassen:
Berlin, den 25.7.1964
Vertrauliche Dienstsache!
(unterstrichen)
A k t e n n o t i z
betreffend eine Unterredung mit dem Leiter des Dietz-Verlages, Gen. Dr. Hennig, in der Angelegenheit Prof.Havemann
Ich informierte Gen.Dr.Hennig, daß für die DAW die Kenntnis der zwischen Prof.Havemann und dem Dietz-Verlag geführten Verhandlungen sein Manuskript betreffend von Wichtigkeit sei. Gegenüber Vertretern der Akademieleitung habe er sich, wegen der Publikation bei Rowohlt zur Rede gestellt, darauf berufen, daß er auch in Verhandlungen mit dem Dietz-Verlag stehe. Von dort sei bisher keine Ablehnung erfolgt.
Der Leiter des Dietz-Verlages informierte mich unter Heranziehung des mit Prof.Havemanns geführten Schriftwechsels über folgenden Sachverhalt:
Am 6.April hat Prof.Havemann dem Dietz-Verlag sein Manuskript angeboten. Er behauptete, er sei an dem Abdruck durch den Dietz-Verlag interessiert, da im In-und Ausland vielfach Auszüge aus seinen Skripte verwendet worden seien. Da er bereits auch mit anderen Verlagen in Verhandlungen stehe, bitte er um baldige Antwort; sollte diese nach zwei Wochen nicht erfolgen, nehme er an, daß der Dietz-Verlag nicht an einer Veröffentlichung interessiert ist. Am 20.4.antwortete der Leiter des Dietz-Verlages. Soweit bekannt, sei in seinen Darlegungen in Bezug auf den erreichten Erkenntnisstand der modernen Gesellschaftswissenschaften manches problematisch oder anfechtbar. Er schlage vor, das Manuskript unverbindlich zur Prüfung dem Verlag zur Verfügung zu stellen. Danach könne eine verbindliche Erklärung des Verlages erfolgen. Am 22.4.schickte Prof.Havemann dem Verlag seine Skripte. Am 7.5.schickte Prof.Havemann dem Dietz-Verlag einen weiteren Brief, in dem er mitteilte, daß er am 5.5.mit dem Rowohlt-Verlag einen Vertrag abgeschlossen habe. Er habe darin Druck und Vertrieb für die sozialistischen Länder ausgeschlossen. Dieses Schreiben enthält die Version, der Verlag habe die Zusendung des Manuskriptes gewünscht, dessen Veröffentlichung er erwäge. Auf Grund dieses Schreibens hat der Dietz-Verlag die Verhandlungen nicht fortgesetzt.
Die Verlagsleitung steht auf folgendem Standpunkt: Prof.Havemann hat ohne Zweifel bereits mit Rowohlt verhandelt, als er dem Dietz-Verlag seine Skripte anbot. Da er den Dietz-Verlag bereits in seinem ersten Schreiben am 6.4.in Unkenntnis ließ, daß er mit kapitalistischen Verlagen verhandelte, hat er durch sein Vorgehen den Abbruch der Verhandlungen selbst herbeigeführt.
Die Verlagsleitung betont, daß entgegen der Darstellung von Prof. Havemann, wonach der Dietz-Verlag ihn um Zusendung des Manuskriptes gebeten habe, tatsächlich das Angebot des Manuskriptes von Prof. Havemann ausgegangen sei, was durch seinen Brief vom 20. 4. eindeutig belegt ist.
(Unterschrift)Dr.Werner Richter
Verlagsleiter Hennig schrieb am 30.7.64 erneut in dieser „Angelegenheit“, diesmal keine „Hausmitteilung“. Die DAW erhielt — wie eine selbständige wissenschaftliche Einrichtung — einen Brief der „Dietz Verlag GmbH Berlin, Träger des Karl-Marx-Ordens“:
Genossen Dr.Werner Richter
c/oSekretariat des Präsidenten der Deutschen Akademie der Wissenschaften (folgt Adresse)
Werter Genosse Richter!
Zur beiliegenden Aktennotiz über unsere Unterredung in der Angelegenheit Havemann habe ich folgende Bemerkungen:
1. In dem ersten Brief Havemanns an unseren Verlag heißt es: „Da im In-und Ausland laufend zahlreiche von mir nicht autorisierte Auszüge aus den Skripten dieser Vorlesung veröffentlicht werden, sowohl in Zeitungen und Zeitschriften wie auch in Rundfunksendkungen, bin ich daran interessiert, daß eine von mir autorisierte Ausgabe als Buch veröffentlicht wird.“ Es heißt dann im folgenden weiter: „Ich wende mich darum mit der Anfrage an Sie, ob Sie daran interessiert sind, die Vorlesungsskripte in Ihrem Verlag zu veröffentlichen. Da ich bereits mit anderen Verlagen in Verhandlung stehe, bitte ich sie höflichst, mir auf diese Anfrage möglichst bald zu antworten. Wenn ich nach Ablauf von 2 Wochen nach Absendung dieses Briefes keine Antwort von Ihnen erhale, nehme ich an, daß Sie an einer Veröffentlichung nicht interessiert sind.“
Aus diesen Formulierungen wird deutlich,
a) daß Havemann und nicht der Verlag daran interessiert ist, seine Skripte zu veröffentlichen, und daß Havemann beim Verlag und nicht der Verlag bei ihm anfragte,
b) daß Havemann nur allgemein von Verhandlungen mit anderen Verlagen spricht, dem Parteiverlag aber nichts Konkretes über seine Verhandlungspartner, zu denen wahrscheinlich bereits am 6.4.64 Rowohlt Hamburg gehörte, sagt,
c) daß Havemann in diesem ersten Brief eine Frist von 2 Wochen zur Beantwortung seines Briefes nannte.
2. Am 20. 4. 64 wurde dieser erste Brief Havemanns von mir beantwortet. In meinem Brief wird darauf hingewiesen, daß Havemann uns seine Skripten zur Veröffentlichung anbietet. In meinem Brief heißt es: „Nach unserer bisherigen Kenntnis Ihrer Vorlesungsreihe sind eine Reihe Ihrer Darlegungen zu den aufgeworfenen Fragen inbezug auf die erreichten Erkenntnisse der Gesellschaftswissenschaften unserer Zeit in mancherlei Hinsicht problematisch und auch anfechtbar.“ Es heißt dann weiter: „Ich möchte Ihnen deshalb vorschlagen, uns das Manuskript zunächst unverbindlich zuzuschicken. Nach einer Prüfung in unserem Verlag würden wir Ihnen verbindlich erkären können, ob das Manuskript für eine Veröffentlichung durch uns in Frage kommt oder nicht.“
Aus diesen Formulierungen wird ersichtlich,
a) daß Havemann sein Manuskript dem Verlag anbot und nicht wir ihn darum gebeten haben,
b) daß wir auf politisch und theoretisch dem Marxismus-Leninismus nicht entsprechende Thesen Havemanns von Anfang an hinweisen,
c) daß wir von einer Prüfung des Manuskripts, aber nicht von einer Bereitschaft zur Veröffentlichung oder von Erwägungen zur Veröffentlichung sprechen.
3. Havemann schickte uns mit Begleitbrief vom 22. 4. 64 sein Vorlesungsmanuskript zu. In diesem zweiten Brief Havemanns werden lediglich einige technische Mängel des Manuskripts erwähnt, und es heißt dort abschließend: „Weil in der Presse bereits viel aus den Skripten zitiert worden ist, halte ich es aber für notwendig, den bis auf Kleinigkeiten unveränderten Originaltext zu veröffentlichen.“
4. Datiert vom 7.5.64 schrieb Havemann einen dritten Brief an den Verlag. Darin heißt es: „Am 22. April64 sandte ich Ihnen auf Ihren Wunsch das Manuskript meiner Vorlesung ,Naturwissenschaftliche Aspekte philosophischer Probleme‘, dessen Veröffentlichung Sie erwägen und dessen schnelle Prüfung Sie mir in Aussicht stellten.“ In diesen Formulierungen verdreht Havemann die Tatsachen, denn
a) der Verlag hat nicht gewünscht, sondern er hat Havemann vorgeschlagen, uns das Manuskript zu schicken, und es war ihm völlig überlassen, diesen Vorschlag zu befolgen oder nicht,
b) der Verlag hat nicht die Veröffentlichung erwogen, sondern er hat eine Prüfung zugesagt.
Gleichzeitig teilte Havemann in diesem Brief unserem Verlag mit, daß er am 5.5.64 mit dem Rowohlt- Verlag Hamburg einen Vertrag zwecks Veröffentlichung einer durch ihn autorisierten ungekürzten und unveränderten Ausgabe seiner Vorlesung abgeschlossen habe. Die Beteuerung Havemanns, daß er dabei die Rechte für die DDR und für alle Volksdemokratien sich vorbehalten habe, ändert nichts daran, daß Havemann in politisch und moralisch unzulässiger Weise Tatsachen geschaffen hat, die für den Dietz- Verlag in keiner Weise akzeptabel sind. Havemann hat damit selbst jede weitere Möglichkeit des Gesprächs mit unserem Verlag unterbunden.
Ich halte es nicht für notwendig, daß die Aktennotiz von Dir in diesem Umfang ergänzt wird. Ich bitte nur, auf der Grundlage meiner Darlegungen einige sachliche Unebenheiten in der Aktennotiz zu verbessern. Ich bitte Dich dringend, angeführte Zitate aus den Briefen in der Aktennotiz nicht zu verwenden. Ich betone abschließend noch einmal, daß unsere Gespräche mit Havemann von uns als beendet angesehen werden.
Mit sozialistischem Gruß
Deitz Verlag Berlin
Dr.Günter Hennig
Die erwähnte „beigefügte Aktennotiz“ liegt der taz leider nicht vor.
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