: Sandinistische Basis möchte streiken
Noch bemüht sich Daniel Ortega um eine Vermittlung zwischen Gewerkschaften und Regierung ■ Aus Managua Ralf Leonhard
Nicaragua gleicht angesichts der Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft einer Zeitbombe, die jederzeit detonieren kann, urteilt Kardinal Obando y Bravo. Präsidentschaftsminister Antonio Lacayo findet den Vergleich mit einem Dynamitstab passender: „...und die Sandinisten haben das Streicholz, um die Lunte anzuzünden.“ Tatsächlich haben die sandinistischen Gewerkschaften für heute zum zivilen Ungehorsam und zu einer Protestdemonstration aufgerufen.
In dieser scheinbar hoffnungslosen Lage versucht Ex-Präsident Daniel Ortega in einer Reihe von privaten Treffen eine Entschärfung der bevorstehenden wirtschaftlichen Roßkur zu erwirken. Auch die Regierung bemüht sich noch, mit einer Serie von Feuerwehrmaßnahmen die verwundbarsten Bevölkerungsgruppen vor dem Hungertod zu bewahren. Am 20.September hatte die Regierung einen nationalen Dialog, die sogenannte „Konzertierung“, mit den Unternehmern und Gewerkschaften begonnen. Allerdings ohne Teilnahme der sandinistischen Gewerkschaftsfront FNT, die rund 300.000 Arbeiter hinter sich weiß, und auch ohne den pro-sandinistischen Kleinbauernverband Unag, der 120.000 kleine und mittlere Agrarproduzenten und Genossenschaftsmitglieder vertritt. Die FNT reklamiert die Einhaltung des Abkommens, mit dem die große Streikbewegung im vergangenen Juli beigelegt wurde. Daniel Ortega, der sich scheut, ein unpopuläres Maßnahmenpaket mitzutragen, wurde vergangenen Mittwoch überraschend beim Kardinal vorstellig und kündigte an, daß er sich an die Spitze der Protestbewegung stellen würde, wenn die Wirtschaftspolitik der Regierung mehr Arbeitslosigkeit und Massenverelendung erzeugte. Wenig später schloß er sich mit Präsidentschaftsminister Lacayo für eine mehrstündige Unterredung ein. Der Regierung geht es darum, die Sandinisten in die „Konzertierung“ einzubinden. Denn wenn das unvermeidliche Wirtschaftspaket auch von der FSLN abgesegnet wird, muß diese für sozialen Frieden sorgen — das Streichholz von der Lunte fernhalten. Daniel Ortega ist mit der Konzertierung im Prinzip einverstanden, kann sich das Mitspielen aber politisch nicht leisten, solange das Gesundungsprogramm vorwiegend auf Kosten der sandinistischen Basis geht: „Die Regierung selbst bringt das Streichholz an die Lunte.“ Es ist nämlich fraglich, ob seine Autorität ausreicht, die Gewerkschaften zur Ordnung zu rufen, wenn es nur vage Versprechungen gibt.
Der Wirtschaftsplan, der im Oktober in Kraft treten soll, bedeutet weitere Privatisierungen von Staatsbetrieben, Stopp der öffentlichen Investitionen, Kürzung der Staatsausgaben auch in der Verwaltung, Arbeitskräfteabbau, Kürzungen des Reallohnes. Und vor allem bedeutet er die Entlassung von Tausenden von Staatsbediensteten.
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