Bürgerbewußte Richter

■ Chancengleichheit gegen Parteienherrschaft

Die achtstündige Verhandlung machte deutlich: Das Gericht will das Grundgesetz gegen den Zugriff der Ost-West-Großparteien verteidigen. Senatspräsident Mahrenholz bezeugte schon mit der Verhandlungsführung Respekt vor der Bürgerbewegung und deren großer politischer und menschlicher Leistung im Kampf gegen das SED- Regime: Obwohl die Organisationen der Bürgerbewegung gar nicht Klage erhoben hatten (was gesetzlich vor dem Beitritt der DDR nicht möglich ist), waren sie alle „gebeten zur Stellungnahme im Termin zu erscheinen“. Dort wurde ihnen, und nicht nur ihren Anwälten, Gelegenheit zu einem offenen Diskurs mit dem Gericht gegeben. In der Urteilsbegründung gab das Gericht der zukünftigen gesamtdeutschen Gesellschaft einige Merksätze mit auf den Weg. Chancengleichheit ist gegen Parteienherrschaft, organisatorische und finanzielle Macht abzusichern. Das politische System darf nicht länger im Griff der etablierten Großparteien sein. Das Zeitalter der civil society und ihrer politischen Formierung ist angebrochen. Erkennbar war es dem Gericht wichtig, die Schilderung Lotte Templins über den Kampf gegen das SED-Regime zu hören oder die Klage Bärbel Bohleys, daß die Parteien hier ein Gesetz gemacht hätten, das die Bürgerbewegung in eine „innere Zerreißprobe bringe“ oder auch das Schlußwort von Hans-Peter Schneider, man wolle kein Geschenk, sondern fordere nur Teilhabe an dem Recht, das die Parteien für sich okkupiert hätten. Die krampfhaften Bemühungen der Vertreter von Bundestag und Bundesregierung, die „lex DSU“ als „die beste Lösung“ (Schäuble) anzupreisen, veranlaßten Richter Franßen zu einem treffenden Bild: „Das kommt mir so vor, wie wenn Sie ein Rettungsboot zur Verfügung stellen, in dem zwei Plätze sind, die die beiden Ruderer schon besetzt haben“.

Neben dem Vertreter der Republikaner fiel noch einer unangenehm auf — der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Penner: Die hier anwesenden Gruppen repräsentierten nicht die gesamte Bürgerbewegung, die die Wende herbeiführten. „Viele von denen sind doch in die SPD. Wir haben lange versucht, zu den hier vertretenen Gruppen Kontakt herzustellen, das ist sehr schwierig. Die sind nicht so eine straff organisierte Partei gewöhnt... das ist ein buntes Volk.“ Nur gut, daß die Parteien nicht das Volk wählen. Karlheinz Merkel

Der Autor ist Rechtsanwalt und hat die Bürgerrechtsgruppen in Karlsruhe beraten.