piwik no script img

KOMMENTARFeste Feiern - warum?

■ Über den Wunsch in der Badewanne zu bleiben Kommentar

Die Binsenweisheit der Stunde: Jedem, der sich westlicherseits in die Vereinigung nur gefügt hat, grimmt ob der Feierlichkeiten der Bauch. Der feudale Staatsakt scheucht einen aus der Müdigkeit. Die politische Führung bestellte bei den »Kulturarbeitern« (O-Ton Momper) ein schnelles »Fest der Einheit« vor passender Kulisse. Antreten zum Feiern... zwo, drei, vier — zu neuer Größe gehört die neue Prächtigkeit. Was am 9. November schlicht explodierte und von Tausenden mit Sekt begossen wurde, gerät nun, nach monatelangem Gezerre um die sogenannten »Sachfragen« der Einheit, zu einem kurzfristig zusammengewürfelten Freuden-Fest Marke »Fast-Food-Identität«. Die Berliner Festspiele GmbH und die Kulturverwaltungen von Senat und Magistrat gebaren für 1,4 Millionen DM ein Drei-Tages-Paket für fast alle Bedürfnisse: Musik aus allen Rohren, Männerchöre und Militärmärsche, Oberschlesische Volkstrachtengruppen und Türkische Folklore, Sängerknaben und Samba-Ensembles und im Auge des Orkans flattern die Farben der Einheit. Ein echtes Volksfest also, die Millionen — vor allem die vor dem Fernseher — wollen unterhalten werden, während die Stammeshäuptlinge den Friedensvertrag unterzeichnen. Kein Mensch hat wohl daran gezweifelt, daß hier das Feiern auch organisiert werden muß. Mürbe macht aber die Zwanghaftigkeit, möglichst prächtig, aber nicht zu protzig, möglichst multikulturell, aber trotzdem feigenblattmäßig, möglichst durchgestylt, aber ohne Freiräume, einen drauf zu machen. Mit der Schmollecke, in die sich manche verziehen, hat das nur bedingt zu tun. Wer läßt sich schon gerne zum Freudentaumel abkommandieren, wo man gerade dabei ist, die über die Schlagzeilen gehende vage Erkenntnis zu verdauen, daß auch westliche Freilandlabore eingehen werden. Es gibt keine Ideen für die Zeit nach dem 3. Oktober.

Im Grunde bleibt nur die Badewanne. Entspanntes Planschen in Lavendelduft bei geschlossenen Fenstern. So könnte man in der Nacht vom 2. auf den 3. Oktober abtauchen. Könnte — kann man aber nicht. Die Lage ist verzwickt, hält man es einen Tag ohne Nachrichten aus? Der faule Kompromiß der Stunde: Wir rücken den Fernseher an den Wannenrand. Nana Brink

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen