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Soldaten gegen Demokraten

■ Wiedereinführung der Wehrpflicht in Berlin/ Hauptstadt ist wieder Staatskaserne/ Von Herward Beschorner

Jetzt ist es wieder soweit. Wehrpflicht auch in ganz Berlin! Wenn das Wachbataillon wie zu großdeutschen Zeiten mit Trommel- und Querflötenspektakel und klingendem Spiel durch das Brandenburger Tor marschiert, werden unverbesserliche Militärenthusiasten und ihr rechter Nachwuchs im Gleichschritt marschieren. Wie anno Tobak, als am 10. November 1848 das preußische Militär in Berlin einrückte und der staunenden Bevölkerung so flotte Märsche blies, daß sie ihre revolutionären Ambitionen vergaß — sogar den 18. März, an dem sie die Soldateska Friedrich Wilhelms IV. zum Teufel gejagt hatte. Preußen war eine staatlich verwaltete Kaserne, in der nur Soldaten gegen Demokraten halfen.

Im Deutschen Reich setzte sich die verhängnisvolle Tradition fort. Rechts galt als staatserhaltend und links als staatsgefährdend. Die Militärs beherrschten das öffentliche Leben, und wer nicht gedient hatte, wurde von der Gesellschaft ausgegrenzt.

Eine besonders unrühmliche Rolle spielte die »Schutztruppe« in Deutsch-Südwestafrika, der es seit 1904 nicht gelungen war, die Aufstände der eingeborenen Hereros niederzuschlagen. Doch 1907 gelang es ihr, die Regierung Kaiser Wilhelms II. zu zwingen, den Reichstag aufzulösen. Das Parlament hatte statt 27 Millionen nur 20 Millionen zur Ausrottung der Hereros bewilligt. Es wurden Neuwahlen angesetzt, die sogenannten Hottentottenwahlen, die vom konservativ- liberalen »Bülowblock« gewonnen wurden. Damit war die Finanzierung der »Befriedung« Deutsch-Südwestafrikas gesichert, und nach der Schlacht am Waterberg wurden Zehntausende Hereros in der wasserlosen Kalahariwüste dem Hungertod ausgesetzt.

Nach dem Ersten Weltkrieg waren die Übergriffe der Militärs gegen die Berliner Bevölkerung keineswegs beendet:

—Am 6. Januar 1919 wurden in der Reichshauptstadt Soldaten gegen eine halbe Million Arbeiter eingesetzt, die friedlich für ihre Rechte demonstrierten.

—Am 15. Januar 1919 wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von einem zusammengerotteten Haufen Soldaten unter Führung eines Majors Pabst ermordet.

—Außenminister Walter Rathenau, der am 16. April 1922 den Vertrag von Rapallo abgeschlossen hatte, wurde am 24. Juni des gleichen Jahres ermordet — von Angehörigen der »Organisation Konsul«, einer terroristischen Vereinigung ehemaliger Kadetten und Fähnriche.

—Die Reichswehr marschierte am 21. Oktober 1923 in Sachsen und Thüringen ein und stürzte die dortigen Arbeiterregierungen.

Vor dem von Hitler entfesselten Zweiten Weltkrieg war Oberstleutnant Keitel Kommandat des Wachbataillons Berlin. Von seinem Führer wurde er zum Generalfeldmarschall befördert und später als Chef des Oberkommandos der Wehrmacht in Nürnberg verurteilt und hingerichtet.

Major Remer, ebenfalls Kommandeur des Wachbataillons Berlin, hatte sich nach dem Attentat auf Hitlers »Wolfsschanze« in Ostpreußen den Gegnern der Verschwörer angeschlossen. Am 20. Juli 1944 ließ er General Olbricht, Oberst Albrecht und seinen Adjutanten von Haeften im Hof des Bendlerblocks erschießen.

Gerade wegen des 20. Juli sollte Berlin ein Symbol des militärischen Widerstands sein, eine offene Stadt, in der die Jugend nicht mehr gegen ihren Willen zum Töten ausgebildet werden dürfte. Und doch soll hier in dieser Stadt Bundeswehr stationiert werden — zum »Schutze«, obwohl es in der Zeit der allgemeinen Abrüstung keinen äußeren Feind mehr gibt, vor dem sich der Staat schützen muß. Soll also die Bundeswehr, die in der Tradition der nationalsozialistischen Wehrmacht lebt, die verhängnisvolle Rolle vergangener Soldatengenerationen als herrschaftserhaltendes Element fortsetzen?

Und: Hat die evangelische Kirche, die in der Vergangenheit in skandalöser Eintracht mit den jeweils Herrschenden das Volk unterdrückte, nichts Besseres zu tun, als sich — wie allgemein gemunkelt wird — um die Militärseelsorge bei den künftigen Bundeswehreinheiten in Berlin zu bemühen?

Herward Beschorner, Jahrgang 1919, ist Berliner, Weltkriegsteilnehmer und Autor des autobiographischen Deserteurromans »Centralino 3 mal klingeln«, erschienen bei Röderberg.

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