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Frankreich bangt um sein Gewicht

■ Angst und Neid gegenüber den Deutschen/ Von Alexander Smoltczyk, Paris

„Das Ende der Welt scheint mir zu kommen. Die Leute, die mir jetzt von Hoffnung, Zukunft und Vorsehung sprechen, verwirren mich zutiefst. Armes Frankreich, dem noch am bitteren Ende mit Worten etwas vorgemacht wird!“ So Gustave Flaubert an seine Nichte Caro nach der Kapitulation Frankreichs gegenüber Bismarck.

Die gleichzeitige Proklamation des Deutschen Reiches am 18. Januar 1871 in Versailles hatten die Pariser nicht als Ereignis wahrgenommen. Wie auch? In den Faubourgs wurde noch geschossen, die Stadt war von der Belagerung zu ausgehungert, um einen Gedanken an die Komödie im Spiegelsaal zu verschwenden. Keine Notiz in den Tagebüchern de Goncourts, Zolas oder Hugos. Nur die Klage über das eigene Land, das von seinen Führern und seiner eigenen eitlen Selbstbespiegelung verraten wurde. Die Kapitulation gegen außen als Niederlage im Innern.

Und heute? Es fällt angesichts der durchweg verständnisvollen Leitartikel schwer, von einer „Angst“ in Frankreich gegenüber dem Tag „D“ zu sprechen, vielleicht noch nicht einmal von einer klammheimlichen Furcht. Vom ersten Tag nach dem Mauerfall an der gleiche bemühte Tonfall in den Kommentaren: Jetzt bloß nicht in alte Vorurteile fallen, jetzt nur nicht der deutschen Revolution eine Sonderrolle gegenüber der polnischen, tschechoslowakischen, ungarischen einräumen. Und die deutsche Teilung ist in Frankreich — auch wenn das von uns bundesdeutschen Besuchern meist als Pariser Spleen abgetan wurde — nie verstanden und akzeptiert worden, in Frankreich galt stets als Ausnahme, was für uns die Regel war.

Günther Grass, der vor Jahren bereits einmal der französischen Öffentlichkeit verdächtig wurde, als er für die Friedensbewegung eintrat, bleibt auch heute unverstanden. Als er vergangene Woche beim Pariser Kolloquium „Deutschland in Europa“ (siehe taz vom 28.9.1990) nur leise Bedenken gegenüber der „häßlichen Einheit“ äußerte, belächelten ihn französische Vertreter als eine Art intellektuellen Pausenclown. Statt dessen forderte der linksliberale Ideengeber Alain Minc gleich die Nuklearbewaffnung des neuen Deutschlands, um es an den Westen zu ketten ...

Doch hinter Vorsicht hält sich oft Sorge verborgen. Nicht die Furcht vor Pickelhauben und „Raus, raus!“ brüllenden Offizieren. Der boche ist tot, und Zeichner Cabu trifft bei seiner Deutschlandreise auf ein Volk, „wo alle so aussehen wie Fußballspieler“ — blond, mit dauergewelltem Haar, Schönheits-Tattoo und Ohrring. Ein neues Bild vom Deutschen ist entstanden: das der erfolgreichen Händler- und Krämernation. Der Verweis auf die „Konzerne“, an die Stelle der Panzer getreten, erlaubt die Rationalisierung einer alten Beunruhigung gegenüber dem starken Nachbarn, die sich nicht mehr in Sätzen äußern mag wie: „Man kann ihnen nicht trauen ...“ Pierre Hassner, Deutschlandforscher vom CNRS: „Man fürchtet weniger das neue Deutschland, als daß die Wiedervereinigung das Gewicht Frankreichs relativ verringern könnte.“

Doch kein Gespräch, in dem die Sorge vor der DMacht nicht masochistisch umgebogen wird zu einer Anklage gegen das eigene Versagen, gegen die mangelnde Effizienz und Durchsetzungsfähigkeit der eigenen Wirtschaft: „Diesen Dynamismus, diese Risikofreude erwarte ich jetzt von den Franzosen“, meint Fran¿ois Mitterrand. Wieder die Klage über selbstverschuldete Schwäche, wie schon im Januar 1871.

Doch der Golfkonflikt, der die querelles allemandes aus der Medienaufmerksamkeit verdrängt hat, bietet Trost. Kürzlich zeigte eine Karikatur von Plantu in 'Le Monde‘ die Präsidenten Bush und Mitterrand, wie sie bei der Verteidigung des Abendlands gegen den Irak stürmen. Hinter ihnen im sicheren Schützengraben sitzen ein vergnügt grinsender Japaner und ein nicht weniger wohlgestimmter Kohl beim Pokern. Um Geld natürlich.

Von Pickelhauben ist also keine Rede mehr. Die Luftbrücke in den Golf, so schreibt Serge July im Deutschlandsonderheft der 'Libération‘, habe gezeigt, „daß die militärische Kapazität das Meßinstrument politischer Macht bleibt“. Die Deutschen zahlen am Golf mit D-Mark, die Amerikaner, Briten und Franzosen im Ernstfall mit ihrem Blut. „Ihr wart nicht in der Lage, eure Freiheit selbst zu erobern, jetzt müßt ihr in der Lage sein, die Freiheit zu verteidigen, die euch die Alliierten gegeben haben“, so redete Mitterrand 1983 dem Bundestag ins Gewissen. Damals, um die Raketen zu rechtfertigen. Er könnte die gleiche Rede halten, um den Einsatz der WEU einschließlich der Bundesmarine am Golf zu fordern. Ob vereinigt oder nicht — Anlaß zu französisch-deutschen Miß- und Unverständnissen wird es noch zur Genüge geben.

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