„Wir machen Fehler, und wir tun nicht genug“

■ Gastkolumne von Elke Steinhöfel: Trotz höherer Senatsmittel schon 57 Drogentote in diesem Jahr

57 Drogentote und kein Ende?! Der Senat hat einen Drogenhilfeplan vorgelegt, detailliert und umfangreich, die Bürgerschaft hat eine Million bewilligt für soziale und gesundheitliche Hilfen, neue Behandlungswege mit Methadon werden beschritten und die „Drogen“polizei wurde verstärkt. Ausgangsvoraussetzungen des Kampfes gegen Drogensucht so optimal, wie sie in Bremen noch nie gegeben waren.

Trotzdem: Schon vergangene Woche wurde der 57. Drogentote deses Jahres gezählt. In Hannover starb der 43. Drogenabhängige, auch ein Bremer. Die Toten, Skeptiker befürchten, daß es am Jahresende 70 sein könnten, sind die Spitze des Eisberges gesundheitlicher und psychischer Verelendung in der Bremer Drogenszene, die Fachleute auf 1.500 Abhängige schätzen.

Würde es helfen, wenn wir doppelt soviel Polizei einsetzen würden? Wir wissen, daß Drogenabhängige sich dadurch weder abhalten lassen, den nächsten Schuß noch das Geld für diesen Schuß zu beschaffen. Polizeilicher Einsatz ja, aber primär, um den organisierten Drogenhandel zu bekämpfen.

57 Drogentote — die allerwenigsten sterben in einer eigenen Wohnung, so gut wie keiner im Krankenhaus. Die meisten Drogentoten werden in Gebüschen, in Hauseingängen oder auf Klos gefunden. Sie sterben auf der Straße, weil sie ohne Obdach sind. Drogenberater schätzen, daß z.Zt. 50 bis 60 Bremer Drogenabhängige kein Dach über dem Kopf haben. Ihnen eine Unterkunft zu bieten, ist die allererste Aufgabe jeder kommunalen Drogenpolitik! Daß es in der kalten Jahreszeit 1990 wie 1989 nicht einmal ausreichend Notschlafplätze gibt, halte ich für absolut unmöglich.

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Dabei weiß ich, schwer das zu ändern ist. In der Roonstraße sind Plätze geschaffen worden, rund 15, allerdings mit der Auflage „betreutes Wohnen“ zu organisieren. Für Obdachlose auf Dauer also nahezu Fehlanzeige. Der Widerstand der Nachbarn, z.T. verständlich, war heftig. Ich erinnere weiter an die Auseinandersetzungen in Walle um das Wohnschiff „Outlaw“. Der gesamte Beirat stellte sich gegen die Unterbringung von rund 15 Personen. Der Hinterausgang ist dann häufig, die Projekte in „betreute Wohnprojekte“ mit therapeutischem Ansatz umzufirmieren. So berechtigt und nötig solche Projekte sind — wo bleiben am Ende die Obdachlosen?

Nötig sind mindestens 50 Plätze. Ich hielte es für ausgesprochen hilfreich, wenn sich Verbände der freien Wohlfahrt hier engagierten! Sie sind aufgrund ihrer Organisationsstruktur und personellen Ausstattung am ehesten als Träger derartiger schwieriger Projekte geeignet.

Unterkünfte sind die erste und wichtigste Voraussetzung für jede weitergehende Hilfe. Genauso wie die Versorgung mit Nahrung, ärztlicher und pflegerischer Betreuung, Möglichkeiten, sich selbst und seine Wäsche zu waschen — schwellenlos angeboten — zur Basisversorgung für Drogenabhängigkeit. Erst wenn eine solche umfassende Grundversorgung selbstverständlich geworden ist, kann die eigentliche Drogenarbeit mit dem Ziel, die Suchterkrankung zu lindern, im günstigsten Falle zu heilen, begonnen werden.

Reicht das Angebot an Therapieformen aus? Bremen bietet Drogenabhängigen abstinenzorientierte Langzeittherapien an, stationär und ambulant. Die Abbruchquote bei Langzeittherapien ist sehr hoch, weltweit ist die Erfolgsquote kaum größer als 20 Prozent. Damit ist nichts über Wert oder Unwert dieses Therapiebemühens ausgesagt. Für 20 Prozent der Drogenabhängigen ist es o.k.

Gleichwohl muß, wer mehr als eine Handvoll Drogenabhängige erreichen will, das Behandlungsspektrum und Therapieangebot plural organisieren — orientiert einzig daran, was für welchen Abhängigen indiziert, bzw. optimal und nicht, welches die beste, einzig richtige Therapie ist.

Seit März dieses Jahres unternimmt Bremen den Versuch, auch durch Langzeitsubstitution mit Methadon Drogenabhängige vom Heroinkonsum wegzuführen, und soweit möglich die Suchterkrankung zu lindern bzw. zu heilen. Ich halte dies für einen schwer erkämpften, längst überfälligen Weg im Angebot medizinisch-therapeutischer Hilfen für Drogenabhängige. Wer allerdings glaubt, damit sei der Stein der Weisen gefunden, die Drogensucht breitflächig zu bekämpfen und gar den illegalen Handel mit Heroin einzudämmen, der irrt.

Das ganze ist ein schwieriger, dornenreicher Weg: Die Abhängigen müssen einen Arzt finden, der nicht nur bereit ist, sich auf Junkies einzulassen, was meist schlecht ist für's Geschäft. Dieser Arzt muß auch fähig und bereit sein, sich auf die begrenzten Möglichkeiten des Betäubungsmittelgesetzes einzulassen. In seiner Praxisorganisation muß der Arzt dafür Sorge tragen, daß nur ärztliches oder ärztlich angeleitetes Personal die Rezepte für die täglichen Methadondosen bei den Apotheken einlöst, der Patient muß täglich in der Praxis erscheinen, mehrmals wöchentlich sind Urinproben zu nehmen. Zusätzlich ist eine psychosoziale Begleitung für den Patienten zu organisieren. Die Zahl der Bremer Ärzte, die diesen Weg mit ihren Patienten gehen, ist bisher sehr begrenzt (rund 20). Die Zahl der Patienten, die diesen Weg einschlagen, ist — rechnet man Aids- und andere Finalerkrankte bzw. Überbrückungspatienten ab — ebenfalls noch relativ gering (rund 50), wobei es sich um Patienten handelt, die im Schnitt bereits 13 Jahre abhängig sind.

Hier sehe ich Notwendigkeiten und Möglichkeiten weiterer Hilfen. Es macht weniger Sinn, Patienten erst dann zu substituieren, wenn sie bereits gesundheitlich schwerstgeschädigt sind und eine gesundheitliche Rehabilitation wie gesellschaftliche Integration bereits besonders schwierig ist. Durch gezielte Aufklärung sollte es auch möglich sein, mehr Ärzte dafür zu gewinnen.

Vor dem Hintergrund der realen Situation im Steintor — einer großen Drogenpopulation, Beratungsstellen mit räumlich beengten Möglichkeiten, einer genervten Bevölkerung, der Tatsache, daß es bisher nur sehr wenige Ärzte gibt, die Drogenpatienten behandeln — ist es m.E. notwendig, gerade in diesem Brennpunkt eine medizinische Ambulanz einzurichten. Nachgedacht werden muß auch über die Schaffung von „entkriminalisierten Räumen“, Räumen, in denen der intravenöse Konsum von Drogen toleriert wird. Nachzudenken ist des weiteren über den Knast, wo durch die Vergabe von sterilen Spritzen die Ausbreitung von Aids verhindert werden kann.

Wir haben uns in Bremen auf den Weg gemacht, vor dem gesellschaftlich höchstbrisanten Problem der Drogensucht nicht zu kapitulieren. Aber wir machen dabei Fehler, und wir machen auch noch nicht genug.

Elke Steinhöfel war von 1980 bis 87 erst stellvertretende, dann Leiterin des Bremer Sozialamtes. Seit 1987 ist sie als Bürgerschaftsabgeordnete der SPD Mitglied des Fraktionsausschusses „Drogen, Aids und Randgruppen“.