: Goliath in Davids Schwitzkasten
Furioser Auftritt der ersten gesamtdeutschen Volleyball-Nationalmannschaft in Berlin: Nur „Zorro“ vereitelte den Sieg gegen das Nationalteam von Europameister Italien/ Am Schluß schwand der Mut ■ Aus Berlin Thomas Lindhorst
Berlins Volleyballpublikum behielt die Nerven. Selbst als der italienische Funktionär Fidenzio beifallheischend „Forza Germania“ ins Mikrofon jubilierte und die Arme hochwarf wie Leonard Bernstein nach dem Schlußakkord, blieben die 2.000 ruhig. Keine Fahnen, keine farbentragenden Fans, das Deutschlandlied als Instrumental: Für das Spiel am Netz erwärmen sich hierzulande keine Hitzköpfe, selbst wenn historische Tage begangen werden.
Als erster Ballsportverband präsentierte der Deutsche Volleyball- Verband eine vereinigte Nationalmannschaft und als erlauchte Gäste die Italiener, ihres Zeichens amtierender Europameister und einer der Favoriten bei der Weltmeisterschaft Ende des Monats in Brasilien. Daß sich die zur Arroganz neigenden Italiener, deren Volleyball-Liga Millionenumsätze macht und Weltstars anzieht, sich dazu herabließen, dem Volleyballzwerg BRD einen Besuch abzustatten, machte Roland Mader, vom 9.Dezember an oberster Chef aller Volleyballer in Deutschland, ganz wild vor Freude.
Freude hatten aber auch die Zuschauer, denn die Deutschen widersetzten sich dem Gegner auf höchst ansehnliche Weise nahezu zwei Stunden. 15:10, 10:15, 15:9 und 10:2 stand es plötzlich, da hatten die vereinigten Volleyball-Davids den Goliath im Schwitzkasten und den Sieg vor Augen. Es wurde nichts draus: „Wir hatten zwar ein paar Punktbälle, aber die haben sie uns runtergepflückt“, registrierte der Münchner Jörg Bertholdt achselzuckend. „Da haben wir wohl Angst vor der eigenen Courage bekommen“, merkte der Berliner Rene Hecht.
Aus dem 10:2 machte der Mailänder Haudegen Andrea Zorzi, genannt „Zorro“, fast im Alleingang ein 12:15 und verhinderte, daß die Volleyballhierarchie durcheinander geriet: Das 10:15 sicherte den 3:2-Sieg der Gäste, die gleich nach dem Spiel wieder in einem Privatflugzeug entschwebten. Im Deutschen Team soll Rene Hecht mit seinen 2,07 Höhenmetern eine feste Größe werden. Der 28jährige spielte 228mal für die DDR, wo der harte Kern einer Mannschaft „der Stammsechser“ genannt wurde; nun gab er ein gelungenes Debüt im westdeutschen Volleyballsprachgebiet, und landete sogleich in der „Stammsechs“.
Neben Hecht, der beim Zweitligisten Post SV Berlin spielt, hatte Bundestrainer Igor Prielozny noch drei weitere Ex-DDR-Spieler nominiert. Leistungsexplosionen erwartet allerdings keiner nach der freundlichen Aufnahme der Neuen in der Nationalmannschaft. Denn die DDR, die 1970 mal Weltmeister war, fristete im Männervolleyball seit 1980 ein ähnliches Mauerblümchendasein wie die Westdeutschen.
Doch immerhin: „Jetzt habe ich zwanzig gleichwertige Spieler, früher nur neun oder zehn“, darf sich der Bundestrainer über größeren Andrang freuen. Prielozny, 33 Jahre jung und Leser der Werke seines Präsidenten Václav Havel, wird auch daran gemessen werden, ob er es fertigbringt, aus der größeren Masse größere Klasse zu schaffen.
Weil das Spiel am Netz von den Trainerstrategen in den letzten Jahren immer mehr beschleunigt wurde, mußte auch die Kooperation zwischen den Akteuren automatisiert werden. Die besten Teams der Welt, zu denen neben den Italienern die Niederländer, Schweden, Russen und Kubaner zählen, haben die wöchentliche Arbeitszeit für die Volleyballprofis auf bis zu 40 Stunden ausgedehnt. Der Großteil der deutschen Spieler studieren oder arbeiten „nebenbei“ und können erst nach Feierabend zum Training erscheinen.
Der Bundestrainer hat auch schon den hochfliegenden Plänen des Präsidenten Roland Maders widersprochen, der von einer Medaille bei der Europameisterschaft 1991 in Deutschland träumte. „Der vierte bis sechste Platz wäre ein Erfolg.“ Dabei bedürfte es wohl einer Medaille, um die deutschen Volleyballhallen auch mit jener Art Publikum füllen, das Fahnen schwingt, den Schiri verhöhnt, das Deutschlandlied mitsingt. Die weltweit am meisten verbreitete Sportart hat in Deutschland noch nicht Aufnahme in die kleine Gruppe der „Zuschauersportarten“ gefunden.
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