Gewerkschaftseinheit als ball paradox

Während die „linken“ DGB-Gewerkschaften einen weitgehenden Neuaufbau in der DDR betreiben, suchen die „rechten“ die Kooperation mit den Gewerkschaftsapparaten der Ex-DDR/ Verteilungskämpfe zwischen ÖTV und IG Bergbau  ■ Von Martin Kempe

Ein letztes Mal führte Hartwig Bugiel, der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Metall in der ehemaligen DDR, am Samstag morgen die Regie — bis mittags um 13 Uhr. Dann gab es keine IG Metall (Ost) mehr. Denn der einzige Zweck der Versammlung im Internationalen Jugend-Centrum Bogensee in Wandlitz war die Auflösung der mit rund einer Million Mitgliedern immer noch größten Gewerkschaft in der ehemaligen DDR.

Es war ein schmerzlicher Abschied für Hartwig Bugiel und die anderen hauptamtlichen Funktionäre der Ostberliner Gewerkschaftszentrale im alten Gewerkschaftsgebäude in der Fritz-Heckert-Straße. Denn mit der Auflösung der Organisation werden die meisten von ihnen ihre Arbeit verlieren. Auch Bugiel, der sich noch im Frühjahr Seite an Seite mit Franz Steinkühler an der Spitze einer gesamtdeutschen IG Metall sah, hat keine Zusage des geschäftsführenden Vorstands der IG Metall in Frankfurt über eine Weiterbeschäftigung in der Tasche. Die West- IG-Metall besteht strikt auf einem kompletten Neuaufbau in der Ex- DDR. Zum Apparat der Ost-IGM hat sie längst schon einen deutlichen Trennungsstrich gezogen.

Und so werden nicht nur Bugiel und seine Mannen aus der Zentrale, sondern alle hauptamtlichen IGM- Gewerkschafter in der ehemaligen DDR nach den Liquidierung ihrer Organisation zunächst einmal arbeitslos. Wollen sie weiterhin hauptamtlich als Gewerkschafter arbeiten, müssen sie sich den normalen Bewerbungs- und Wahlverfahren in der zukünftig gesamtdeutschen IG Metall unterwerfen.

Anders Hartmut Löschner, der Vorsitzende der IG Chemie, Glas und Keramik der DDR. Er braucht sich keine Sorgen um seine gewerkschaftliche Zukunft zu machen. Denn im Unterschied zur IG Metall hat die Führung der IG-Chemie in Hannover keinerlei Berührungsängste mit ihrer DDR-Partnergewerkschaft. Sie hat mit ihr ein Kooperationsabkommen über die Vereinigung beider Organisationen geschlossen, und die Kooperation geht inzwischen soweit, daß die Pressestelle der IG Chemie (West) Anfang Oktober eine Rede Löschners zur deutschen Einheit im Wortlaut verschickt hat. Hermann Rappe, der autokratische Herrscher über die westdeutsche Chemiegewerkschaft, demonstriert bei jeder sich bietenden Gelegenheit innige Verbundenheit mit seinem Kollegen aus der Ex-DDR. „Wir sind uns in den Grundsätzen vollkommen einig“, betont Rappe immer wieder. Was er damit meint, ist in der 'umschau‘, der Funktionärszeitschrift der IG Chemie, nachzulesen: „Wir wollen den politischen Charakter der IG-Chemie-Papier- Keramik nicht verändern lassen“, verkündete der rechtssozialdemokratische Gewerkschaftsführer, „deshalb werden wir ein Einsickern von Kommunisten, von SED/PDS- Anhängern bekämpfen“. Die zukünftige gesamtdeutsche IG Chemie werde sich von jedem, „der alte Ideologien neu an den Mann bringen will“, trennen, erklärte er unmißverständlich.

Damit hat Rappe die Bedingungen der gewerkschaftlichen Vereinigung präzise abgesteckt: Der alte Apparat der DDR-Gewerkschaft wird weitgehend übernommen, aber vorher politisch auf Linie gebracht. Das hauptamtliche Personal der DDR- Chemiegewerkschaft kann sich Übernahmechancen ausrechnen, wenn es sich diesen Vorgaben unterordnet.

Eine ähnlich unkritische Kooperation mit den alten, nun aber auf rechtssozialdemokratisch und antikommunistisch gewendeten Organisationsstrukturen der DDR-Partnergewerkschaften praktiziert die IG Bergbau und Energie (IGBE), die wie die IG Chemie zum „rechten Flügel“ innerhalb der 17 DGB-Einzelgewerkschaften gehört. „Mit autoritären Strukturen haben die doch kein Problem“, meinte ein ÖTV-Funktionär zur taz, der die Aktivitäten der Bergbau-Gewerkschaften Ost und West vor Ort in der DDR beobachtet.

Die ÖTV meint einen zusätzlichen Grund zu kennen, weshalb die IG Bergbau (West) die Partnerorganisation (Ost) möglichst unbeschadet übernehmen will: Die DDR- Bergbaugewerkschaft (IGBEW) organisiert nicht nur die Bergleute, sondern auch die Beschäftigten in den Energieunternehmen und in der Wasserwirtschaft, die in der bisherigen Bundesrepublik in den Organisationsbereich der ÖTV fallen. Seit langem tobt schon der Streit zwischen den DGB-Gewerkschaften IGBE und ÖTV um die Bestrebungen der Bergbaugewerkschaft, ihre Zuständigkeit auf den Energiebereich auszuweiten. Nun sieht sie die Chance, dies durch Vereinigung mit der IGBEW zumindest für das Gebiet der ehemaligen DDR durchzusetzen. Erst kürzlich hat die Bochumer Bergbaugewerkschaft entgegen einem eindeutigen Beschluß des DGB- Bundesvorstandes auf einem außerordentlichen Gewerkschaftstag die Satzungsbestimmungen über ihre Organisationszuständigkeiten entsprechend geändert.

Im Verhältnis zu den bestehenden Apparaten der DDR-Gewerkschaften, so scheint es, haben sich die früheren Fronten innerhalb des DGB verkehrt: die „linken“, konfliktorientierten DGB-Gewerkschaften IG Metall und IG Medien, denen von ihren rechtssozialdemokratischen Kontrahenten immer eine mangelnde Abgrenzung zur DKP und zum Realsozialismus angekreidet wurde, bestehen nun am striktesten auf Liquidierung der DDR-Gewerkschaftsapparate und vollständigem gewerkschaftlichen Neuaufbau in der ehemaligen DDR.

Die „rechten“, dezidiert antikommunistischen DGB-Gewerkschaften IGBE und IG Chemie dagegen haben gleich nach der Wende die Kooperation und den Zusammenschluß mit den alten Gewerkschaftsapparaten unter neuen politischen Vorzeichen betrieben.