: Übungsgelände für »Hobby-SA«
■ Ostberliner Kultureinrichtungen protestieren DOKUMENTATION
Rechtsextreme Übergriffe und Anschläge auf Kultureinrichtungen im Ostteil der Stadt bestimmen mehr und mehr deren Alltag. Wir dokumentieren einen offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister von Berlin sowie die Bezirksbürgermeister von Weißensee, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Mitte:
An jedem 7. Oktober der letzten vierzig Jahre wurde im Ostteil dieser Stadt die Festtagskultur des SED-Staates besonders breitbeinig vorgeführt. Jedoch gab es hier noch etwa anderes, wofür dieser Teil Berlins ebenfalls bekannt war: ein erhebliches innovatives Potential auf kulturellem Sektor, das, von unten kommend, dem Apparat Streß, der Bevölkerung jedoch einigen Spaß bereitet hat. Aus diesem Umfeld resultieren nicht erst seit dem letzten November vielerlei Aktivitäten (vom Verlag übers Kulturzentrum bis zur Kneipe usw.), die Projekte, oftmals gegen den Widerstand der immer noch zähen Bürokratie Ostberliner Prägung, realisieren konnten. Hier sind Arbeitsplätze entstanden, während woanders immer noch davon geredet wird, daß welche entstehen sollten. Hier gibt es oft nicht einmal die Spur der »Hilfe zur Selbsthilfe« (der viel versprochenen). Aber hier wird wirklich etwas getan.
Daß sich etwas tut, kann der Stadt nur recht sein, denn ein bewegtes kulturelles Leben steht einer Hauptstadt gut zu Gesicht. Diese Kulturlandschaft sehen jedoch wir, die sie mit-gestalten, einer Gefahr ausgesetzt, die immer akuter wird und deren Folgen sich die verantwortlichen PolitikerInnen bewußt werden sollten. Die gezielten Aktionen rechtsextremer und faschistischer Schlägertrupps nehmen Formen an, die in diesem Teil der Stadt ein Klima andauernder Bedrohung Alltag werden lassen, welches unsere Arbeit kompliziert, unsere wirtschaftliche Existenz, die Arbeitsplätze eingeschlossen, gefährdet, das kulturelle Leben weitgehend beeinträchtigt und außerdem den Ruf Berlins als Kulturmetropole und tolerante Stadt insofern beschädigt, daß inzwischen Bezirke im Osten der Stadt einer »Hobby-SA« als Übungsgelände zur Verfügung stehen, ohne daß wir erkennen könnten, daß sich die politisch Zuständigen dieser Wirklichkeit bewußt sind. Absurd ist es schon, wenn besonders diejenigen, die vorher der Willkür und Laune der Honecker- Exekutive ausgesetzt waren, jetzt am heftigsten mit der Brutalität des Fascho-Terrors konfrontiert sind — sei es auf politischem oder kulturellem Gebiet. Unsere legalen Möglichkeiten, für den eigenen Schutz zu sorgen, sind allein defensiver Natur. Für viele von uns sind inzwischen erforderliche Sicherheitsvorkehrungen nicht mehr finanzierbar. Hier kann sich doch jedes Projekt, das den schlichten Kriterien teutonischer Dumpfheit nicht standhält, als »anschlagsrelevantes Objekt« betrachten (schöne Aussichten). Und es kann niemand ernsthaft von uns erwarten, daß wir mit ähnlichen Mitteln reagieren, wie sie uns gegenüber angewandt werden. Darum erwarten wir vom Regierenden Bürgermeister, von den Bezirksbürgermeistern, vom Senat und den Bezirksämtern, die öffentliche Diskussion dieses Problems offensiv anzugehen, und wir erwarten sichtbare und spürbare Beiträge zur Entspannung der Situation in den betroffenen Bezirken. Wir wollen wissen, was der Senat und die Bezirksämter ihrerseits zu tun gedenken, auch im Ostteil Berlins ein Klima herzustellen, das frei ist von Ängsten, welche selbst die eigene körperliche Unversehrtheit einschließen.
Berlin, den 6.10.1990
TAS — Theater an der Spitze, Weißensee; Galerie in der Brotfabrik, Weißensee; Kino in der Brotfabrik, Weißensee; Geierwallys Stieftochter im Ausland — Das Café an der Spitze, Weißensee; CW, Prenzlauer Berg; »Dritte Welt«-Zentrum, Prenzlauer Berg; BasisDruck Verlagsgesellschaft mbH, Prenzlauer Berg; Landhaus Weißensee, Weißensee; Galerie Weißer Elefant, Mitte; Galerie »Die andere Art«, Friedrichshain; Kiez-Kultur, Friedrichshain
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