: „Beweinung“ ohne Larmoyanz
Der Maler-Filmer Jürgen Böttcher-Strawalde in der Berliner Festspielgalerie ■ Von André Meier
Im Mai 1989 schrieb Wolf Biermann unter dem Namen des Hamburger HBK-Lehrers Martin Rögener ein Porträt des Malers und Dokumentarfilmers Jürgen Böttcher, alias Strawalde. Auf Biermanns Betreiben bot die Hochschule für Bildende Künste der Hansestadt dem 1931 geborenen Künstler eine Gastprofessur an, die es ihm ermöglichen sollte, regelmäßig die DDR in den Richtung Westen zu verlassen. Mehr als ein Jahr später beginnen die waghalsigen Versuche, die Tricks, die man bemühte, um das verriegelte Land zu verlassen, zu Anekdoten zu verkommen.
In der Berliner Festspielgalerie hat nun Jürgen Böttcher seine erste Personalausstellung außerhalb Ostdeutschlands. 25 Arbeiten, die, überwiegend in den letzten beiden Jahren entstanden, aber nur einen kleinen Teil des heterogenen Gesamtwerks des Künstlers repräsentieren. Dieser Mann hätte den Gropius-Bau verdient. Doch während alle Welt über die Schuld, den Provinzialismus und die Selbstgerechtigkeit der DDR-Künstler schwatzt und immer wieder die selben Namen genannt und so nur munterer gehandelt werden, droht alles zwischen Blut- triefendem Untergrund und pathetischer Staatskunst, dem Vergessen anheimzufallen. So auch Jürgen Böttcher, der wie kaum ein anderer Maler in seiner Biographie und seinem Werk den vermeintlichen Dualismus von West- und Ost-Kunst widerlegt.
1953 kam ein 14jähriger Junge in die Dresdner Volkshochschule, um sich in Böttchers Mal- und Zeichenkurs unter dem Namen Ralf Winkler einzutragen. Inzwischen lebt er in Dublin, London und New York, steht in der Spiegel-Liste der teuersten zeitgenössischen Künstler als A.R.Penck. „Jürgen Böttcher war der erste richtige Künstler mit einem eigenen Atelier, den ich kennenlernte. Er vermittelte mir die ersten Einsichten in die Kunstgeschichte und in die Grundlagen der Malerei vom Stilleben bis zu Picasso.“ So Penck über seinen nur acht Jahre älteren Lehrer, der gerade die Dresdner Hochschule für Bildende Künste nach einen Studium bei Wilhelm Lachnit verlassen hatte.
Aus dem Lehrer-Schüler-Verhältnis wurde eine Freundschaft. Obwohl Böttcher nur wenige Semester unterrichtete, bildete sich aus seiner Schülerschaft ein Freundeskreis, der über Jahre hinweg die Kunstentwicklung Dresdens beeinflußte. Peter Herrmann, Peter Makolies und Peter Graf gehörten, wie Penck, zu denen, die durch Böttcher mit einer Kunst in Berührung kamen, die sich von dem Pseudorealismus und dem pathetischen Kitsch des in der DDR offiziell Geschätzten abhob. 1955 ging Böttcher nach Berlin, doch nicht um sich, wie seine Kommilitonen Harald Metzkes und Manfred Böttcher, ganz der Malerei zu widmen, sondern um an der Hochschule für Filmkunst in Babelsberg ein Regiestudium aufzunehmen.
Palette und Kamera
Bereits in Dresden, der vom Krieg völlig zerstörten Stadt an der Elbe, war der Lachnit-Schüler fasziniert von den Filmen des italienischen Neorealismus und des frühen sowjetischen Kinos. In seine ersten Arbeiten, von denen leider keine in der Festspielgalerie zu sehen ist, scheint, neben einem fast programmatischen Verweis auf die klassische Moderne, auch die spröde Ästhetik dieser Filme Eingang gefunden zu haben. In der Ostberliner Nationalgalerie befindet sich ein fast monochromes Ölbild Böttchers aus dem Jahr 1958, eine „Beweinung“, die in ihrer Komposition an Beckmann, in der Zeichnung an Picasso und in der Inszenierung an Eisenstein erinnert. Böttcher selbst:„Es kann schon sein, daß meine Bilder anders aussehen würden, wenn ich ausschließlich Maler wäre und nie Dokumentarfilme gemacht hätte.“
Und sicher würden auch seine Filme andere sein, hätte er nicht zuvor und immer auch nebenbei gemalt. 1960 beendet Böttcher sein Studium und geht zum DEFA-Studio für Dokumentarfilme. Sein erster Streifen „Drei von vielen“ wird sofort verboten und kann erst 1988 in einem Ostberliner Künstlerklub gezeigt werden. Ein Film, der das Leben von drei jungen Künstlern beschreibt, die von seinen Dresdner Schülern Graf, Makolies und Hermann gespielt werden. Penck lieferte Texte für den Film, bei dem die Zensoren den für den sozialistischen Aufbau erforderlichen Optimismus vermißten.
Ulbricht interveniert
Im gleichen Jahr, im Sommer 1961, hatte Böttcher seine erste Ausstellungsbeteiligung. Der Bildhauer Fritz Cremer, zugleich Sekretär der Sektion Bildende Kunst der Akademie der Künste, initiierte in Ost-Berlin die Ausstellung „Junge Kunst/ Malerei“, an der sich 72 Künstler beteiligten. Unter ihnen Willi Sitte, Jürgen Böttcher, Penck, Makolies, Herrmann und Graf. Die nur einen Monat nach dem Mauerbau eröffnete Ausstellung wird ein Skandal und ist mehrfach von der Schließung bedroht. Auf dem 14. Plenum des ZK der SED, im November 1961, rechnete Ulbricht persönlich mit den jungen Malern ab: „Besonders ernst ist der Umstand, daß derartige Auffassungen auch von Mitgliedern der Deutschen Akademie der Künste vertreten und in eine Ausstellung junger Maler demonstriert worden sind. Die Auseinandersetzung lehrt: Mit formalistischen, dekadenten oder sogar modernistischen Gestaltungsmitteln, die aus der spätbürgerlichen Kunst entnommen werden, kann man keine Werke schaffen, die das sozialistische Denken und Fühlen der Werktätigen bereichern, das heißt keine im eigentlichen Sinne sozialistische Kunst.“ In den folgenden 15 Jahren verzichtet Böttcher auf die öffentliche Präsentation seiner Arbeiten und widmet sich, so scheint es, ganz dem Film. Als Regisseur dreht er mehr als ein Dutzend Dokumentarfilme, die zu den wichtigsten der DDR-Filmgeschichte gehören.
Erst 1975 hat Böttcher in einer Erfurter Ateliergemeinschaft seine zweite Ausstellung. Ein Jahr später beginnt er, seine Bilder mit dem Namen des Dorfes, in dem er seine Kindheit verlebte, zu signieren — Strawalde. Doch auch wenn Böttcher als Strawalde seit Mitte der Siebziger kontinuierlich Arbeiten in kleinen Galerien und Klubs ausstellen konnte und die Nationalgalerie in Ost-Berlin sogar die „Beweinung“ in ihre ständige DDR-Kunstschau aufnahm, so blieb ihm doch der große Durchbruch versagt. Strawaldes Arbeiten und darin gleichen sie denen der großen DDR-Außenseiter, Hermann Glöckner, Carlfriedrich Claus oder Gerhard Altenbourg, waren nie geeignet für den von der sozialistischen Kulturpolitik favorisierten linear-didaktischen Interpretationsansatz. Die Welt in seinen Arbeiten ist die seine. Keine Reflexionen, keine Illustrationen, keine Geschichten, die erzählt werden, nur Bilder, die ihre Form im intuitiven Schöpfungsakt des Malers finden.
Böttcher — und auch das unterscheidet ihn von seinem 1980 ausgebürgerten und international anerkannten Schüler Penck — hatte nie die Gelegenheit, sich auf großen Flächen zu verausgaben. Erst im Januar 1990 bekam Strawalde, als Senior der DDR-Untergrundausstellung in der Pariser Grande Halle de La Villette die Chance, auch die Fläche frei zu wählen und schuf das großformatige Triptychon „Die Nacht“.
Die in der Festspielgalerie gezeigten Bilder dagegen sind in Strawaldes Ostberliner Neubauwohnung entstanden und im Format eher bescheiden. Zu den wenigen früheren Arbeiten, die die Ausstellung vorweisen kann, gehört das „Märzbild“ aus dem Jahr 1963. Es zählt zur Serie der „Erdbilder“, die der Künstler am Beginn der sechziger Jahre malte. Ein pastoser, fast reliefartiger Farbauftrag kennzeichnet das Werk, bei dem die gesamte Bildfläche von gelb bis graubraunen Strudeln überzogen wird und Erde und Himmel, scheinbar vom Frühjahrssturm aufgewirbelt, eine Vereinigung vollziehen. Völlig ruhig dagegen ist die Welt in der 1982 entstandenen „Stillebenlandschaft I“. Eine Erinnerung an Cézanne und doch mehr als nur ein Arrangement in einer arkadischen Landschaft. Die Proportionen der Dinge scheinen in Aufruhr: Ist der Apfel ein Fels oder der Fels ein Apfel, und ist das Messer wirklich ein Messer? Alle Sicherheit ist verloren und doch bleibt die Angst aus, weil auch sein darf, was nicht sein kann.
Seit den siebziger Jahren hat Strawalde die Collage für sich entdeckt und montiert in seine Bilder Fundstücke, unaufdringlich und der Farbe gleichberechtigt. So auch im Nestbau, einer kleinen, in der Galerie fast weggehangenen Arbeit aus dem Jahr 1989. Stoff, Bambus, Knöpfe, Scherben und Farben spielerisch zusammengefügt von der Lust am Experiment, die auch vor der Banalität des Motivs nicht zurückschreckt. Ein Jahr später hat die Geschichte Strawalde eingeholt. Er dreht als Jürgen Böttcher einen Film über die Mauer, die nun keine mehr ist, und auch in seinen Bildern gewinnt das Thema an Bedeutung. Doch Strawalde — und da bleibt er sich treu — läßt sich nicht als Chronist mißbrauchen. Seine Mauerbilder, von denen die Ausstellung zwei zeigt, sind eben keine lärmenden Geschichtsillustrationen, sondern stille, überlegt komponierte Assemblagen, bei denen allein formale Details einen Bezug assoziieren. Der überwiegende Teil der ausgestellten Arbeiten ist erst vor kurzem entstanden. Strawalde, so scheint es, ist lockerer geworden und hat keine Zeit zu verlieren. Die Kleinteiligkeit und das Berliner Kolorit sind einer fast leuchtenden Farbigkeit gewichen. Strawalde malt heftig und mit Acryl. In die Bilder schreibt sein Pinsel Zeichen, die man bei Penck vermuten würde und doch nicht findet. Der Mann ist fast sechzig und doch ohne Larmoyanz. Strawalde bleibt im Aufbruch.
„Das östliche System bevorzugte die Kriecher, das westliche befördert die geschäftstüchtigen Gaukler...Aber zum Glück hängt der Erfolg im freien Kunstmarkt zu einem Teil auch vom Genie des Künstlers ab, von seiner wirklichen Schöpfer- und Schaffenskraft. Was das betrifft, sehe ich gute Chancen für meinen Freund, der es gewiß mit jedem aufnehmen kann, der im Moment als große Nummer gehandelt wird.“ Bleibt zu wünschen, daß Biermann, der diese Zeilen Böttcher widmete, recht behält.
Die Ausstellung ist noch bis zum 4.November in der Berliner Festspielgalerie, Budapester Straße 48, 1000 Berlin 30 zu sehen. Parallel zur Ausstellung zeigt das Kino Arsenal eine Werkschau des Regisseurs Jürgen Böttcher.
Der Katalog zur Ausstellung, herausgegeben von der Berliner Festspielgalerie, kostet 10 DM.
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