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„Wir Roma wollen als nationale Minderheit anerkannt werden“

■ Der ungarische Abgeordnete Beln Osztojkan ist Mitglied der Organisation „Phralipe“ und Chefredakteur der gleichnamigen Roma-Zeitschrift INTERVIEW

taz: Es mehren sich Ausschreitungen gegenüber den etwa 400.000 Roma in Ungarn. Was ist denn alles vorgefallen?

Osztojkan: In der Kleinstadt Eger terrorisieren seit Wochen etwa 200 Skinheads die Wohngebiete der Roma. Die Polizei schaut dem Treiben zu, und der Polizeichef erklärte, die Agression gehe von jugendlichen Roma aus. Er strengte sogar ein Gerichtsverfahren gegen 21 Roma an, aber gegen keinen einzigen Skinhead. Hinter diesen Angriffen steht die rechtsradikale „Christlich Demokratische Partei“, die mit ihrer Parole „Ungarn den Ungarn“ Jugendliche zu neuen Aktionen anfeuert. Letze Woche fanden sich 400 Roma in der Industriestadt Tatabanya zu einer Wahlveranstaltung ein. Kurz nach Beginn kam die Polizei und erklärte, eine Bombendrohung sei eingegangen, eine Gruppe unter dem Namen „Dr. Mengele“ wollte das Gebäude in die Luft jagen.

Ihr Name wurde im Juni bekannt, als Sie über eine Untersuchung berichteten, die seit 1979 „über die humanbiologischen Besonderheiten der Zigeuner“ unternommen wird.

Ich fragte mich, ob diese Studien tatsächlich der Gesundheit der Roma dienen und, wenn ja, was sie denn dann das Innenministerium angehen. Im Februar machte ich in Paris auf einem von S.O.S. Racisme organisertem Minderheitenkongreß diesen Tatbestand bekannt. In Budapest wurde ich von dem Minderheitenbeauftragten der Antall-Regierung, Arpad Fasang, daraufhin als „Vaterlandsverräter“ beschimpft. Vertreter des Innenministeriums aber bedauerten die Studien. Seit Juni sind sie tatsächlich eingestellt. Aber es bleiben Fragen offen: Waren dies Untersuchungen zur „Rassenfrage“? Wer hat sie zu verantworten? Weshalb waren bei der angeblich rein medizinischen Untersuchung Fingerabdruck-Experten des Innenministeriums anwesend? Und woher wissen wir, daß die Untersuchungen mittlerweile nicht im kriminologischen Archiv des Innenministeriums verwahrt werden?

Wie reagierte die Mehrheit der ungarischen Bevölkerung auf diese Enthüllungen?

Gleichgültig. In Miskolc, der zweitgrößten Stadt des Landes, leben zahlenmäßig mehr Roma als in anderen Städten. Und um dem „Zigeuner-Problem“ Herr zu werden, schlugen „ehrbare“ Bürger vor, die Roma aus dem Stadtzentrum in einen heruntergekommenen Vorort auszusiedeln. Man machte eine Meinungsumfrage: 35 Prozent der befragten Miskolcer stimmten diesem Plan zu. Anfangs hatten wir von der Bürgerrechtsbewegung „Phralipe“, die gegen jede Art der Diskriminierung eintritt, noch die Hoffnung, wir könnten für den Status der Roma als „nationaler Minderheit“ kämpfen. Wir hofften, für die gleichen sozialen und politischen Rechte, wie sie den Ungarndeutschen, Südslawen und Slowaken in Ungarn zugestanden werden, eintreten zu können. Heute wissen wir, daß wir dieses Ziel zurückstecken und alles daransetzen müssen, wenigstens als „ethnische Minderheit“ anerkannt zu werden (bisher galten Roma als „angestammte Nationalitätenbevölkerung“, als Teil des Ungarntums, man behandelte Roma als Sozialfälle und sprach ihnen eine eigene Identität, Sprache und Kultur ab). Immerhin wurde uns zugesichert, Roma in Zukunft wie alle Minderheiten zu behandeln. Obwohl das Wahlgesetz Minderheiten keine reale Chance für den Einzug ins Parlament gibt, gelang es uns, der Organisation Phralipe, bei der letzten Wahl auf der Liste der Freien Demokraten sieben Parlamentssitze zu erlangen. Die Kandidatur auf einer eigenen Liste wäre aussichtslos gewesen. Wenn aber unter Gleichstellung verstanden wird, daß lediglich ein „Minderheiten-Ombudsmann“ für jede Minderheit im Parlament als nicht stimmberechtigter Abgeordneter vertreten sein kann, wie es jetzt von den großen Parteien diskutiert wird, dann müssen wir Roma, wie alle anderen Minderheiten auch, gegen dieses Konzept Sturm laufen. Interview: Roland Hofwiler

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