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Die Geschichte des Reliefs »Widerstand«

■ Der Ostberliner Bildhauer Karl Biedermann geriet zwischen die Zeiten. 1984 wurde sein Relief-Entwurf vom Antifa-Komitee Prenzlauer Berg abgelehnt: »Nicht kämpferisch genug.« Jetzt weist ihn das Kunstamt Neukölln zruck: »Nicht aktuell genug.«

Neben der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg steht seit vergangenem Sonntag eine Relieftafel, eingefaßt in rotem Klinker. Zu sehen ist ein nackter Mensch, tief gebeugt, die Arme weit nach unten gestreckt. Aber die eckige Schulter überragt den Kopf; der Mensch liegt nicht am Boden, fällt auch nicht, er erhebt sich, undeutlich, aber er erhebt sich immerhin. Widerstand heißt das Relief, geschaffen vom Bildhauer Karl Biedermann, und dahinter steht eine lange Geschichte. Denn das Relief wurde nicht für die Gethsemanekirche gehauen, diesen heute symoblischen Ort des alten Widerstands gegen den alten DDR- Staat.

Nein, ganz im Gegenteil, ein »offizielles« Denkmal hätte es werden sollen, ein didaktisches Kunstwerk zur Ehren der kommunistischen Kämpfer gegen die Hitlerbarbarei. Ein richtiges »antifaschistisches Werk« eben, ganz im Sinne eines Staates, zu dessen wichtigsten Wurzeln der organisierte Widerstand gegen die Nazis gehörte. Daß es zur wunschgemäßen Fertigstellung dieses Denkmals nicht kam, lag an der Halsstarrigkeit und dem künstlerischen Eigensinn von Karl Biedermann — und das lange Jahre vor der Wende.

Die Geschichte beginnt im Mai 1984. Karl Biedermann erhält von der Kulturabteilung des Stadtbezirks Prenzlauer Berg den Auftrag, zwei Flachreliefs zum Thema »Befreiung« und »Widerstandskampf im Stadtbezirk« zu gestalten. Zum 40. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus sollen die beiden Werke, in Bronze gegossen, in eine Brückenmauer gegenüber dem S-Bahnhof Schönhauser Allee eingefaßt werden. Zum »gesellschaftlichen Partner« der zuständigen Kulturabteilung erklärt sich das »Kreiskomitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer am Prenzlauer Berg« in Gestalt des Vorsitzenden, Genossen Dr. Baier, Oberst a.D.

Wenige Wochen nach Vertragsunterzeichnung legt Biedermann die ersten Entwürfe vor. Die »Befreiung«, so die Idee, solle durch einen aufgerichteten, die Umfassung des Reliefs sprengenden männlichen Torso symbolisiert werden, der »Widerstand« durch einen Akt, der nicht zu Boden gedrückt wird. Die Nacktheit der beiden Menschen wird vom antifaschistischen Komitee akzeptiert, nicht aber die Körperhaltung und das Fehlen jeglicher Symbole. Biedermann solle, so Baier, dem Widerstandskämpfer eine »aktivere Haltung« geben, und der »Befreier« müsse deutlich als »Sowjetsoldat« erkennbar sein. In einem Brief erläutert das Komitee den künstlerischen Auftrag. »Die Kämpfer gegen den Faschismus waren aktive Kommunisten/Antifaschisten, die der Nazibarbarei aktiven Widerstand entgegengesetzt haben. In ihrem jetzigen Entwurf ist nur der gebeugte, niedergeknüppelte und verzweifelte Mensch dargestellt.«

Das Kreiskomitee empfiehlt, den nackten Menschen »Fragmente irgendeiner Art von Bewaffnung« und den »Sowjetstern« beizufügen, eine Auflage, die Biedermann als absurd empfindet und nicht weiter verfolgt, zumal der »gesellschaftliche Partner« nicht der offizielle Auftraggeber ist. Was Biedermann allerdings nicht weiß: Das Komitee ist inzwischen zur »Entscheidungsinstanz« befördert worden und schreibt am 22.10.1984 Tacheles. Biedermanns mittlerweile in Ton geformte Modelle sind »für die Auftraggeber« nicht akzeptabel, heißt es, denn »der Widerstandskämpfer soll sich erheben und die Faust ballen und der befreiende Rotarmist mit Helm und Bluse bekleidet werden«. Im Hintergrund seien »sowjetische Waffen oder eine »Einheit der Roten Armee darzustellen«.

Biedermann geht in die Offensive. Um zu zeigen, wie »unsinnig« die Gestaltungsauflagen sind, modelliert er ein Gesamtkunstwerk. Da sind im »Befreiungsrelief« rollende Panzer zu sehen und Sowjetsoldaten, bewaffnet mit aggressiv gereckten Maschinenpistolen. Beinahe hätte dieses Modell dem antifaschistischen Komitee gefallen, aber nur beinahe. Die Maschinenpistole, so lautet der Änderungsauftrag, solle durch eine Handgranate ersetzt werden.

Biedermann erschrickt, seine bös gemeinte Satire droht in Bronze gegossen zu werden. Er zieht das Modell mit der Begründung zurück, daß die Waffen in den Händen der sowjetischen Befreiungskämpfer sich — zumindest optisch — gegen den Widerstandskämpfer richten. Biedermann besteht jetzt darauf, daß sein vorgeschlagener Akt die »künstlerisch vertretbare Möglichkeit biete, dem Thema plastisch gerecht zu werden«. Er sei bereit, das bestellte Relief größer oder kleiner auszuführen, damit ein — zur Schönhauser Allee — alternativer Standort gefunden werden könne. Soweit der Kompromißvorschlag entsprechend der »Honorarordnung für bildende Künstler«, denn Biedermann hatte bereits 40 Prozent des Honorars (18.000 Mark) erhalten, das in ihn investierte Geld solle also nicht nutzlos verschwendet sein. Aber Biedermann hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Den Auftraggebern ist das bereits gezahlte Honorar gleichgültig. Am 11. Dezember 1984 flattert ihm die Vertragskündigung ins Haus, denn »wir mußten leider nach mehreren Arbeitsberatungen mit Ihnen feststellen, daß Sie als Auftragnehmer unsere Hinweise [...] nicht berücksichtigt« haben.

So weit, so schlecht, zumindest für Biedermann, der jetzt ohne Auftrag und ohne weitere Honorare dasteht. Denn die an ihm eingesparten Gelder werden in einen willfährigeren Künstler investiert. Pünktlich zum 40. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus werden am Standort Schönhauser Allee mehrere Bronzetafeln enthüllt, auf denen alles zu sehen ist, was das »Kreiskomitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer« sehen wollte. Befreiende Sowjetsoldaten mit leuchtenden Sternen am Koppel, im Hintergrund ganze Einheiten. Nur die Handgranate fehlt, denn die Rotarmisten tragen einen Verwundeten. Der »Widerstand« ist ebenfalls auftragsgemäß abgehandelt, markig wird er symbolisiert durch eine geballte Faust. Über dem neuem Gesamtkunstwerk prangt seit 1985, orthographisch rätselhaft, aber so steht es bis heute da, die Inschrift: »Tot, dem Hitler«.

Biedermann hingegen, eigensinnig bis zum Ende, schlägt sein Relief Widerstand auch ohne Honorar in Kunststein, (die Befreiung zerbröselt bei der Bearbeitung). Jahrelang steht das unwillkommene Werk dann im Atelier des Künstlers. Und hier könnte die Geschichte zu Ende sein, ist sie aber nicht, denn sie hat ein absurdes Nachspiel. Denn mit der Wende entdeckt das Kunstamt Neukölln die Künstler im Osten. Öffentlich wird annonciert, daß das Kunstamt anläßlich der Einweihung der »Gedenkstätte KZ-Außenlager Sonnenallee« im Herbst eine Ausstellung plant, an der DDR-Künstler sich beteiligen sollen. Denn »neben einem Rückblick auf Denkmale und den Prozeß der Denkmalsetzungen in den 80er Jahren sollen neue Arbeiten gezeigt werden, in denen sich künstlerisch mit dem Nationalsozialismus auf der Grundlage der veränderten politischen Situation auseinandergesetzt« wird.

Eine Ausschreibung wie geschaffen für Karl Biedermann, einen Vorreiter der jetzt »veränderten politischen Situation«. Aber weit gefehlt, Biedermann paßt offensichtlich in keine Zeit. Mit vorgedruckten Schreiben, datiert vom 15. August, teilt ihm das Kunstamt mit, daß seine Entwürfe Befreiung und Widerstand nicht berücksichtigt werden können, denn »mit unserem Aufruf hatten wir an ganz aktuelle Beiträge gedacht, aktuell im Sinne einer Berücksichtigung der neuen politischen Situation in unseren Ländern. Die eingesandten Entwürfe beziehen sich jedoch auf Entwürfe aus der Vergangenheit.« Wie wahr, und doch wie falsch.

Nur die Gethsemanekirche, deren Fürbittgottesdienste im Oktober vorigen Jahres im staatstragenden Sinne ebenfalls nicht »aktuell« waren, holt die unterdrückte Vergangenheit aus den Kellern und schafft Raum. Anita Kugler

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