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UNTERM STRICH

Die wahren Ereignisse der Buchmesse erfährt man immer erst hinterher. So gab Gabriele Henkel einen kleinen, intimen Empfang, zu dem die taz bedauerlicherweise nicht geladen war, weshalb wir aus zweiter, sogar dritter Hand berichten müssen: unter den Neuerscheinungen des Herbstes gibt es auch ein Standardwerk über Tischdekorationen, bei dem die erwähnte Dame der allerersten Gesellschaft als Autorin zeichnet. Die zur Präsentation geladenen Gäste wurden nicht nur aufgefordert, sich an den aufs Schönste dekorierten Delikatessen gütlich zu tun, sondern auch, jeweils eine Leinenserviette mit Hohlsaumstickerei mitgehen zu lassen. Die Vorteile einer gehobenen Erziehung, schließt die Literaturredakteurin unschwer, liegen offenbar darin, von den Quälereien des klassischen Handarbeitsunterrichtes verschont zu werden — andernfalls hätte dieser Einfall eine depressive Note, die wir selbst Gabriele Henkel nicht wünschen möchten. Geld macht bekanntlich nicht glücklich, aber wenigstens reich.

Es gibt ein neues Wort, das man sich merken muß: mentaler Wechsel. Mit dieser Formulierung beschrieb in dankenswerter Klarheit der Econ-Geschäftsführer Dr. Hero Kind die Entscheidung in Düsseldorf, Claassen (der Econ-Gruppe zugehörig) künftig nur mehr als „literarische Nische“ fortzuführen. Der Claassen-Verlag verlegte unter anderem Cesare Pavese Marlen Haushofer und Margaret Atwood und hatte noch im vergangenen Jahr einen großen Erfolg mit Hoimar von Ditfurths „Innenansichten eines Zeitgenossen“. Die ehemaligen Verlagsleiter Michael Schmidt und Frank- Lothar Hinz wurden im Zuge dieser Änderungen entlassen: „Econ ist eben die starke Marke, wir können uns keine Spagatschritte mehr leisten“, gab die Geschäftsführung der Econ-Gruppe bekannt. Die Aufgabe des Verlages Marion von Schröder 1988 und die konsequente Verdünnung des Claassen-Programms schon in den letzten Jahren verhalf dem Manager-Fitness-Verlag Econ zu einer Umsatzsteigerung zwischen 10% und 17%. Nun fallen die letzten Hüllen: Für Claassen vorgesehen sind drei bis vier Titel pro Programm (ein Kaufangebot des früheren Claassen-Lektors Christian von Ditfurth fand offenbar kein Interesse): „Wenn wir einen Pavese oder eine Kaschnitz brauchen“, so Kind, „kommen die natürlich bei Claassen.“ (Und wenn wir diese Zeitung in die Grütze reiten wollen, wenden wir uns natürlich an Sie.)

Auf einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde hofft der Traktorist Wjatscheslaw Goljaschewitsch aus Kusnezowo. Der 33jährige schrieb in 80 Stunden und 26 Minuten einen 150seitigen Detektivroman zu einem von der Redaktion der sowjetischen Guinness-Ausgabe vorgegebenen Thema. Die Rekordzeit schloß einige Stunden Schlaf und die Zeit ein, in der Goljaschewitsch von seiner Arbeitsstelle an den Schreibtisch eilte. In seinem Roman geht es um einen Betrüger, der die gesamte Auflage des Guinness-Buchs der Rekorde stiehlt, um die Preise diktieren zu können. Wie verlautete, hat der Autor schon mehr als 10 Romane verfaßt, die allerdings wenig Aufmerksamkeit fanden. Nun hoffe er auf öffentliche Anerkennung.

Zu seinem 25jährigen Bestehen veranstaltet das Goethe-Institut inParis gemeinsam mit dem Kunst- und Kulturzentrum Georges Pompidou die bis zum 21. Oktober dauernden Bertolt Brecht-Wochen an der Seine. Auf dem Programm stehen unter anderem ein Gastspiel der Tri-Bühne aus Stuttgart mit „Der gute Mensch von Sezuan“ sowie Filmvorführungen in deutscher Sprache wie „Die Dreigroschenoper“ von Georg Wilhelm Papst und „Baal“ von Volker Schlöndorff. Das Münchner Stadtmuseum lieh 32 von Konrad Ressler geschaffene Foto-Portraits des Künstlers für eine Ausstellung. Ein Kolloquium beschäftigt sich mit den verschiedenen Schaffensphasen Brechts.

Die Übersetzerpreise zur Förderung der deutsch- französischen Beziehungen der DVA gehen in diesem Jahr an Wolfgang Günther (Plessa) und Fabienne Blaise (Lille). Der Preis ist mit je 20.000 DM dotiert und wird alle zwei Jahre an jüngere Übersetzer für ein Projekt aus den Bereichen Geisteswissenschaft oder Essayistik vergeben. Wolfgang Günther wird die Biographie Maurice Ravels von Marcel Marnat übersetzen, Fabienne Blaise Diltheys „Weltanschauung und Analyse des Menschen seit Renaissance und Reformation“. Im Buch zum Preis (anläßlich seiner letzten Verleihung am 22.11. in der Sorbonne) findet sich auch ein gewitzter Aufsatz von Jochen Hörisch über „Die Theorie des Widerstands und der Widerstand der Theorie“ am Beispiel der Deleuze-Rezeption in Deutschland, den wir ausdauernd zitieren wollen: „1. Die deutsche Philosophie hat sich — aller anderen Differenzen untereinander ungeachtet — seit den 70er Jahren in ihrem Denkstil immer stärker am angelsächsischen Habitus orientiert. Das war ein gewaltiger Paradigmenwechsel: statt Heideggers raunendem Tiefsinn hatte nun Tugendthats Sprachanalyse das Wort; statt Adornos idiosynkratischen Stilfiguren setzte sich mit Habermas [hier müssen wir entgegenhalten, daß allerdings sein Essay über die französische Philosophie denn doch sein Kommunikationshauptwerk stilistisch bei weitem und aufs Angenehmste übertrifft, d. Red.] das Ideal durch, so schlecht zu schreiben, daß jeder Leser sofort merkt, daß es um die Sache und nur um die Sache geht; und statt Nietzsches kraftvollem Dynamit erschollen Dieter Henrichs ab- und ausgewogene Bedenklichkeiten. Das aber heißt: die deutschen Intellektuellen hatten nach zweihundertjähriger Lust am exzentrischen Denken sich endlich zur bescheidenen Normalität einer ordinary-language-Reflexion durchgerungen. Karriere, Macht und Ruhm erntet nicht länger, wer abwegig über Sein und Zeit nachdenkt, sondern wer anzugeben vermag, was es heißt, einer Regel zu folgen und vernünftig zu sein. 2. Eben zur selben Zeit hat hingegen in Frankreich dieNietzsche- und Heidegger-Rezeption eine neue Hochkonjunktur. ... Das intellektuelle Frankreich ist nicht länger bereit, die ihm zugewiesene Rolle zu spielen — nämlich cartesianisch zu sein.“ Den Preis für deutsche Übersetzungen erhielt 1988 Joseph Vogl für sein geplantes Projekt, „Différence et rêpétition“ von Gilles Deleuze zu übersetzen, das Hauptwerk des französischen Philosophen. Joseph Vogl arbeitet derzeit in Paris.

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