: Die Hamburger Polizei nach 1945
■ Trotz des ernsthaften Versuchs der britischen Besatzungsmacht, die Polizei der Hansestadt Hamburg nach dem Krieg zu demokratisieren, setzten sich sehr schnell wieder autoritäre Strukturen durch/ „Ein Hort alter Nazis“
Für die Hamburger Polizei hat es nach 1945 keinen demokratischen Neuanfang gegeben. Sie blieb ein Hort für alte Nazis. Fast alle Beamte aus der der NS-Zeit, darunter verurteilte Kriegsverbrecher, behielten einen warmen Platz im Polizeidienst. Das belegt die neue Studie von Karin Schanzenbach und Norbert Steinborn über die Hamburger Polizei nach 1945.
Karin Schanzenbach wundert sich, daß ihre Studie trotz heftiger Behinderungen veröffentlicht werden konnte. Während die Vorgängerstudie Parteisoldaten — Die Hamburger Polizei im 3.Reich, großzügig von der Gewerkschaft der Polizei, der SPD-Polizeibetriebsgruppe und vom Ex-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi unterstützt wurde, blieben finanzielle Hilfen für die Aufarbeitung der Geschichte der Polizei nach 1945 aus. Auch das Hamburger Staatsarchiv zögerte gut ein Jahr die Freigabe von zudem wertlosen Dokumenten heraus. Selbst das 'Hamburger Abendblatt‘ (Springer) bestätigte die „restriktiven Auflagen“ gegen das Forschungsprojekt.
Das deutliche Desinteresse an neuen Enthüllungen über die Hamburger Polizei nach 1945 ist begründet. Schon die Vorgängerstudie vermochte die Legende vom sozialdemokratischen Widerstand gegen die „Machtergreifung“ ebenso zu zerstreuen wie die von der „Liberalität“ der hansestädtischen Polizei im Faschismus.
So blieb die Hamburger SPD während der „Machtergreifung“ der Nazis äußerst devot gegenüber Hitler. Allein der SPD-Polizeisenator Schönfelder ließ 1933 immerhin 75 Funktionäre der KPD verhaften, um den Reichskanzler gnädig zu stimmen; davon versprach sich die SPD eine Tolerierung ihrer Partei. Doch sie erleichterte den Nazis nur die Gleichschaltung der Polizei, die ohnehin republikfeindlich war.
Denn fast alle Hamburger Polizeioffiziere hatten der kaiserlichen Armee gedient und waren Anhänger des reaktionären „Stahlhelms“. Auch die Mannschaften waren überwiegend ehemalige Freikorpssöldner. Unter General Lettow-Vorbeck hatten sie erfolgreich Arbeiteraufstände niedergeschlagen. Das nutzten die Nazis aus: Die von ihnen neu geschaffenen Hamburger Polizeibataillone 101, 102, 103 und 104 erwiesen sich bei der Verfolgung von polnischen Partisanen und auch bei Exekutionen von Juden und Polen als derart erbarmungslos, daß Himmler ihnen den Rang von SS-Polizeiregimentern verlieh. Die Hamburger Kripo stand nicht zurück: Sie organisierte in der Hansestadt die „Lösung der Zigeunerfrage“, also die Deportationen von Sinti und Roma nach Auschwitz und Belzec.
Daß die Hamburger Polizei auch nach 1945 strukturell autoritär und politisch antikommunistisch blieb, belegen die Autoren der neuen Studie detailreich und minutiös. Die Alliierten, in Hamburg die Engländer, planten zunächst, die Polizei restlos zu entnazifizieren. Sie sollte nach britischem Vorbild demokratisiert werden. Dieses Konzept sah vor, die hierarchischen Befehlsstrukturen abzubauen. Zu diesem Zweck wurde die Verwaltung dezentralisiert. Alle Bereiche der Polizeiverwaltung sollten an die Selbstverwaltung der Gemeinden, Städte und Kreise abgegeben werden. In Hamburg übernahm das Gewerbeamt die Gewerbepolizei, dem Wohnungsamt wurde das Paß- und Meldewesen überantwortet, während dem Rechtsamt die Regelung von Staatsangehörigkeit und Einbürgerung überlassen wurde. Kleine Reviere sollten, dem Gemeinnutz dienend, lediglich der Kriminalität vorbeugend arbeiten. Hilfsbereitschaft gegenüber dem Bürger war Pflicht, die Polizisten erhielten Höflichkeitsunterricht, während Offiziere als verdeckt ermittelnde „Höflichkeitsprüfer“ die Reviere unsicher machten.
Gleichzeitig wurde die Polizei entwaffnet. Die kasernierte Polizei sollte als Instrument der Aufstandsbekämpfung abgeschafft werden. Auch eine politische Polizei sollte es nicht mehr geben. Doch die Regierung Adenauer und die Alliierten selbst höhlten allmählich die frommen Pläne aus.
Obwohl zwischen 1945 und 47 genau 1.168 Beamte der Hamburger Polizei wegen ihrer Nazivergangenheit vom Dienst suspendiert wurden, war schon 1952 ein Großteil von ihnen wieder im Amt. Von insgesamt 280 Schutzpolizisten waren 189 NSDAP-Mitglieder gewesen, von 69 Kripobeamten hatten 44 ein braunes Parteibuch. Von den Polizeioffizieren waren rund zwei Drittel eingetragene Nationalsozialisten. Selbst fünf Mitglieder des Nazitodeskommandos „Polizeibataillon 101“, das in Lublin bei der Räumung eines Ghettos 3.680 jüdische Kinder, Frauen und Männer erschossen hatte, blieb im Dienst.
Das Ausführungsgesetz zum Grundgesetzartikel 131 ließ 1951 die Wiedereinstellung von Gestapo- und SS-Leuten ausdrücklich zu. Danach konnten viele Ex-Beamte des Dritten Reiches in der neuen Republik ihren alten Dienstgrad und damit auch die Ansprüche auf Pension und Beamtenprivilegien behalten. Sogar der „Henker von Breda“, der im besetzten Holland in der Kripo für die Verfolgung von Juden und Homosexuellen und den Bereich „Rassenschande“ und Abtreibung verantwortlich war, konnte sein Fachwissen als Ausbilder der Polizeischule weitergeben.
Die Regierung Adenauer rüstete die Polizei mit Billigung der Opposition und des Alliierten Kontrollrats für den kalten Krieg auf. Schon ab 1950 wurde wieder eine kasernierte Bereitschaftspolizei aufgebaut. Allein in Hamburg verfügte die Bereitschaftspolizei (Bepo) bereits knapp sechs Jahre nach Kriegsende über 678 Mann, ausgerüstet mit Handfeuerwaffen, Maschinengewehren und Straßen- wie Schützenpanzerwagen. Fortan wurde die Bepo für den „truppenpolizeilichen Einsatz in der Großstadt“ ausgebildet. Auf dem Gebiet des ehemaligen Konzentrationslagers Neuengamme wurde Bürgerkrieg geübt. SPD-Polizeisenator Danner verkündete stolz dem Innenminister: Die „nach den gleichen Grundsätzen wie heute ausgebildete Hamburger Ordnungspolizei“ sei „bei der Aufstellung der Wehrmacht 1935 als einzige Polizei als geschlossenes Regiment in die Wehrmacht übernommen worden“.
Ihr ganzes Können zeigte die Bepo erstmals im Mai 1951, als sich 1.500 StudentInnen auf einer Demonstration versammelten, um gegen den Entzug von verbilligten Schülermonatskarten zu protestieren. Der überraschende Knüppel- und Wasserkanoneneinsatz verletzte 70 StudentInnen, zum Teil schwer. Das rechtfetigte die Polizei mit dem Verdacht, es handele sich um kommunistische Anstifter.
Unter dem gleichen Vorwand zerschlug die Polizei mehrere Arbeitskämpfe gewaltsam: so den ersten Hafenarbeiterstreik nach dem Krieg im Oktober 1951. Als über 3.000 Hafenarbeiter die Arbeit niederlegten, um einen höheren Schichtlohn durchzusetzen, wurden Solidaritätskundgebungen verboten, Streikbrecher mit Polizeigewalt zur Arbeit gebracht und Flugblätter beschlagnahmt. Den Nachweis, daß tatsächlich Kommunisten den Streik angeführt haben, blieb die Polizei schuldig.
Der Kampf der Polizei gegen die Kommunisten wurde noch härter geführt. Ihnen wurden sogar die Busse beschlagnahmt, die FDJ-Mitglieder zur Beisetzung des von Polizisten erschossenen Philipp Müller bringen sollten. Er hatte in Essen gegen die Wiederbewaffnung der Polizei protestiert. Die Bespitzelung von Kommunisten und Verbote von Dutzenden ihrer Versammlungen waren die Regel. Als am 18. August 1956 das Bundesverfassungsgericht die KPD verbot, besetzten starke Polizeikräfte die Hamburger Parteibüros.
Die letzten Hürden alliierter Bestimmungen gegen die vollständige Wiederherstellung der Machtfülle der Hamburger Polizei beseitigte dann der SPD-Polizeisenator (und spätere Bundeskanzler) Helmut Schmidt. Der Ex-Wehrmachtoffizier forderte 1961, daß alle Kompetenzen, die bis 1945 der Polizei vorbehalten waren, der neuen „Behörde für Inneres“ übertragen werden müßten. Fortan unterstand ihm die Polizeibehörde, das Landesamt für Verfassungsschutz, das statistische Landesamt, der Zivilschutz und der Schutz der Senatskanzlei. Aus anderen Senatsbehörden wurden die Standesämter, das Rechtsamt, die Feuerwehr, das Einwohnermelde- und Paßwesen sowie die Kraftverkehrsabteilung herausgelöst dem Innensenator zugewiesen.
Auch Helmut Schmidt, wissen die Autoren der Studie zu berichten, blieb der autoritären und antikommunistischen Tradition der Hamburger Polizei verpflichtet: Noch 1963 lobte er vor den angetretenen Polizeihundertschaften und Veteranen das vierzigjährige Jubiläum der gelungenen Niederschlagung des „Oktober-Aufstands“ von 1923.
Leider bleibt die wissenschaftliche Arbeit der Forschungsgruppe insofern ein Torso, als die Zeit nach 1962 nicht aufgearbeitet wird. Die Autoren beklagen: mangels „Interesse an kritischer Polizeiforschung und finanzieller Unterstützung“. Da haben die hanseatischen Pfeffersäcke wohl gelernt: Nicht der Finger am Abzug bestimmt den Takt der Geschichte, sondern der Daumen auf dem Steuersäckel. Ingo Haar
Norbert Steinborn/ Karin Schanzenbach, Die Hamburger Polizei nach 1945 — Ein Neuanfang, der keiner war, Hamburg 1990, 19,80 D-Mark. Zu bestellen bei: Verlag Heiner Biller, Schlangenkoppel1, 2000 Hamburg 74
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