: Von der Stasi-Firma zum Privatkapital
■ Tarnbetrieb Interport zur Beschaffung von Militärelektronik an Robotron-Nachfolger unter Wert verscherbelt/ Stasi-Kontrolleure ausgetrickst/ Beweisunterlagen auf obskure Art verschwunden
Berlin (taz) — Die Mitteilung an den Regierungsbeauftragten Fritz Peter erfolgte vertraulich — wie vieles, wenn es um die Auflösung der „Hauptverwaltung Aufklärung“ der Stasi ging. Die „Interport“, teilte Geschäftsführer und Stasi-Oberst Gottfried Gietl mit, sei 1965 im Auftrag des Geheimdienstes als Tarnfirma gegründet worden. Eingebunden in die „Kommerzielle Koordination“ des Chefdevisenbeschaffers Alexander Schalck-Golodkowski, diente sie der Beschaffung sogenannter Embargowaren, im wesentlichen hochmodener Elektronik aus dem westlichen Ausland. Verschleiert wurde dies mit dem offiziellen Betriebsteil, der einen Handel mit Oldtimern betrieb. Heute ist die Interport Bestandteil der „Computer Vertriebsunion Berlin“ (CVU), vormals „VEB Robotron Berlin“ und vor der Wende einer der Hauptabnehmer der von der Stasi-Firma beschafften Elektronik.
Die Interport wurde mit Wissen und Willen des Staatlichen Komitees zur Stasi-Auflösung an die CVU verschoben — die Stasi-Kontrolleure darüber wissentlich getäuscht.
Nach einer Beratung mit dem Leiter des staatlichen Auflösungskomitees, Günter Eichhorn, erhielt der stellvertretende Generaldirektor vom Robotron-Vertrieb, Dr. Schröder schon Mitte März die mündliche Zusage auf eine Übernahme. Interport-Geschäftsführer Gietl hatte zuvor den Deal selber eingefädelt und die Übergabe der Stasi-Liegenschaft samt Personal dem Komitee empfohlen. Aus Sicht der „Aufklärung“, schrieb HVA-Offizier Gietl, gebe es bei der Auflösung der Tarnfirma zwei Probleme: Interport sei vertraglich in „zwei laufende Projekte in der chemischen und elektronischen Industrie“ mit Partnern aus dem Westen verpflichtet, die eine Investitionstätigkeit in der DDR „in Millardenhöhe wesentlich beeinflussen“. Darüber hinaus bestünden weitere Verpflichtungen aus dem Oldtimer- Handel. Seine Empfehlung unterstrich der Oberst mit der Bemerkung, „bei sofortiger Beendigung aller Aktivitäten der Firma Interport würden der DDR erhebliche Schäden entstehen“. Deshalb dürfe nicht bekannt werden, daß es sich bei der Interport um ein „Objekt der Aufklärung“ handelt — dies würde die „Abwicklung aller genannten Aufgaben unmöglich machen“.
Gietls Ausführungen zeigten Wirkung: Noch am 5. April wurde in der von Amtsleiter Eichhorn abgezeichneten Objekliste des Staatlichen Komitees, die der taz vorliegt, die Interport-Liegenschaft am Prenzlauer Berg, Straßburgerstraße 39-40, als übergeben ausgewiesen. Im Gegensatz zu den getroffenen Vereinbarungen heißt es aber dort, das Objekt sei zur Entscheidung der weiteren Nutzung am 1. Februar an den örtlichen Rat abgegeben worden. Der wahre Weg, den die Stasi-Firma nahm, wurde damit verschleiert.
Die juristische Übernahme der Interport durch Robotron erfolgte am 1. April weit unter Wert. Den Preis setzte der Käufer selber fest: Ganze 390.000 Mark der DDR, obwohl allein schon die 105 Oldtimer der Firma über 400.000 DM wert waren. Der Grundstückswert wird im Berliner Magistrat mit mehreren Millionen angegeben. Auch die Inventur bei Interport wurde von Robotron- Mitarbeitern durchgeführt. So wurden etwa dem firmeneigenen Ferienobjekt Glowe in Rügen — bestehend aus einem Bungalow, einem Bootsschuppen, einer Sauna und einem Lager — ganze 4.270 DDR-Mark zuerkannt. Das Ferienobjekt wurde nach der Übernahme von den früheren Interport-Mitarbeitern zum gleichen Preis weiterverkauft — an eine „Interessengemeinschaft Ferienobjekt Glowe“, hinter der sich niemand anderes verbirgt, als die ehemaligen MfS-Offiziere von Interport.
Der Schwindel mit der millionenschweren Immobilie flog erst am 10. August auf, als Mitarbeiter des Berliner Magistrats zusammen mit der operativen Gruppe des staalichen Komitees nach Hinweisen aus der Bevölkerung die Stasi-Firma durchsuchten. Neben Säcken voll vernichteter Geschäftsunterlagen wurden mehrere Konten sichergestellt, auf denen sich ein Gesamtguthaben von über 3.5 Millionen DM befand. Die Umstellung auf D-Mark hat Geschäftsführer Gietl offenbar selbständig — am zuständigen staatlichen Komitee vorbei — vorgenommen. Aber auch von diesen Konten müßte Komiteeleiter Eichhorn gewußt haben. Bereits am 16. Juli hatte ihn sein Abteilungsleiter Wagner aufgefordert, Verbindung mit der Robotron-Vertrieb aufzunehmen, „um finanzielle Regelungen aus der Teilhaberschaft des ehemaligen MfS zu beraten und entsprechende finanzielle Forderungen geltend zu machen“. Eichhorn reagierte aber erst, als der Berliner Magistratsbeauftragte Werner Fischer Strafantrag wegen des Verdachts der Untreue bei der Kripo stellte. Drei Tage nach der Interport-Durchsuchung wies er Gietl (heute „Leiter Handelstransport“ bei der CVU) an, die Interport- Konten aufzulösen und die Guthaben ans Staatliche Komitee zu überweisen.
Weitere Nachforschungen über die Interport-Praktiken sind mittlerweile erheblich erschwert. Bei einem offenbar fingierten Einbruch am 22. August konzentrierten sich die Täter ausgerechnet nur auf einen von fünf Panzerschränken, in dem sich die Geschäftsunterlagen der Firma befanden. Die Fenster, so die Spurensicherung, wurden zudem von innen aufgebrochen. Wolfgang Gast
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