: D-Day für den Ausverkauf der DDR
Heute läuft die Antragsfrist zur Rückerstattung von enteignetem Grund und Boden und Vermögen in der DDR ab/ Hunderttausende WestbürgerInnen fordern zurückgelassene oder geerbte Immobilien ein ■ Von Vera Gaserow
Berlin (taz) —„Unsere Leute drehen allmählich durch. Seit Wochen stehen hier sämtliche Enteignete der Republik auf der Matte und behelligen uns mit tausend Detailfragen!“ So wie den Mitarbeitern des Bundesjustizministeriums in Bonn geht es auch den Beschäftigten der rund 250 Liegenschaftsämter der DDR und den Mitarbeitern von Gemeinden- und Kreisverwaltungen. Sie alle ersticken in Anfragen und Anträgen, die alle nur das eine wollen: die Rückerstattung bzw. Herausgabe von ehemals enteigneten Besitztümern in der DDR. Hunderttausende solcher Änträge harren irgendwo in der ehemaligen DDR ihrer Registrierung, von Bearbeitung kann angesichts eines heillosen Chaos kaum die Rede sein. Allein in Berlin lagern über 100.000 Anträge.
Der größte Run auf die zuständigen Amtsstellen setzte Ende der Woche ein, denn den 13. 0ktober hatten die nunmehr gesamtdeutschen Bürokraten zum Stichtag erklärt. Nur hatten die pfiffigen Herren für diesen D-Day des Ausverkaufs der DDR ausgerechnet einen Samstag ausgesucht, so daß die wirkliche Frist, bis zu der Besitzansprüche angemeldet werden müssen, erst am heutigen Montag abläuft. Doch auch danach können noch unbeschränkt Besitzansprüche geltend gemacht werden. DDR-Gemeinden, Mieter, Hausbesitzer oder Betriebe können nach diesem Datum keineswegs sicher sein, daß nicht irgendwann der frühere Eigentümer mit einem: „Das ist meins!“ vor der Tür steht. Der einzige juristische Unterschied: wenn bis zum 15. Oktober keine Anträge auf Rückgabe vorliegen, dürfen zum Beispiel entsprechende Häuser oder Grundstücke auch verkauft werden. Meldet sich der tatsächliche oder vermeintliche Eigentümer erst nach dem Stichtag, geht er aber auch im Verkaufsfalle nicht leer aus. Er bekommt dann eine Entschädigung.
Wann er die bekommt und wie hoch die dann sein wird, steht jedoch — Stichtag hin oder her — wie bei sämtlichen Antragstellern in den Sternen. Etliche Jahre, wenn nicht Jahrzehnte — wird es dauern, bis diese „offenen Vermögensfragen“, wie es in der Amtssprache heißt, geklärt sind. Die rund 250 Liegenschaftsämter in den fünf neuen Bundesländern ersticken derzeit im Chaos, in den Grundbüchern der DDR klaffen Lücken, es fehlen Fotokopierer und Karteien, Erbengemeinschaften sind oft zerstritten, jetzige Bewohner oder Eigentümer von Häusern beanspruchen mit Fug und Recht die Immobilien für sich und die Gerichte kollabieren unter einer Flut von Rechtsstreitigkeiten.
Klar sind bisher nur einige juristische Grundzüge, geregelt im Einigungsvertrag unter der Rubrik „Gesetz über offene Vermögensfragen“. Wichtiger Hauptgrundsatz dieses Gesetzes: Nach 1949 enteignetes Vermögen, egal ob in Geld, Sachwerten oder Immobilien, soll in der Regel an die früheren Eigentümer zurückgegeben werden. Eine Entschädigung über Geldzahlungen soll eher die Ausnahme bleiben. So will es zumindest das Gesetz. Die Praxis wird jedoch häufig anders aussehen, dann nämlich, wenn zum Beispiel auf dem einst enteigneten Boden längst eine Neubausiedlung oder ein Holzkombinat steht oder das schon vor Jahrzehnten baufällige Haus von Erbtante Lisa einem kleinen Einfamilienhaus gewichen ist, das eine DDR-Familie in Eigenarbeit und mit viel „Zuwendung“ an die Handwerker errichtet hat. In den Fällen, wo eine Rückgabe des ursprünglichen Eigentums nicht mehr möglich ist, soll ein noch zu gründender Entschädigungsfonds einspringen. Aus welchen Quellen dieser Fonds jedoch gespeist wird, ist bisher genauso unklar wie ein klares Kriterium, wonach die Höhe dieser Entschädigungszahlungen bemessen werden soll.
Zur schnelleren Abwicklung dieser „offenen Vermögensfragen“ wird jetzt vom Bundesfinanzministerium eine „Zentrale Vermögensstelle“ in Berlin eingerichtet. Die vor Jahren aus der DDR nach Wuppertal, Reutlingen oder Flensburg übergesiedelte Familie Meyer oder die westdeutsche Erbengemeinschaft eines passablen Mietshauses in Leipzig werden aber dennoch Jahre auf eine Regelung warten müssen. Vor allem die DDR-Mieter werden auf lange Sicht weiter in Unsicherheit leben, denn vor all diesen kleinen privaten Antragstellern kommen erst einmal die großen, die in der Warteschleife vorbeiziehen. Eine sogenannte Vorfahrtsregelung sieht nämlich vor, daß vorrangig die Grundstücks- und Besitzfragen von möglichen Investoren geregelt werden sollen. Wer etwa einer Kommune einen Investitionsplan zur Schaffung von dringend benötigten Arbeitsplätzen, neuem Wohnraum oder Infrastrukturmaßnahmen vorlegt und dafür Land beansprucht, wird bevorzugt bedient. Und in diesen Fällen können Städte und Gemeinden sogar Grund und Boden verkaufen, auf den andere einstige Eigentümer Rückerstattungsansprüche angemeldet haben.
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