'Lenny ‘ist tot

Schuld war Tante Clara. Eigentlich sollte der junge Bernstein Kosmetikvertreter werden, aber dann stellte sie ein Klavier bei der Verwandtschaft unter, und Lenny begann zu spielen. So wurde Bernstein Dirigent, Komponist, Pianist, Musiklehrer und Autor: der Tausendsassa der amerikanischen Kulturszene, ein Extremist in Sachen Musik. Am Pult dirigierte er mehr mit dem Körper als mit dem Taktstock, und es gibt wohl kaum jemanden, den er mit seiner „West Side Story“ nicht zu Tränen gerührt hat. Er war berühmt wie ein Popstar und das zu Recht: Die Philharmoniker holte er aus den Konzertsälen in den Central Park, der amerikanischen Jugend brachte er in Fernsehserien bei, wer Bach ist, und im Zweifelsfall zog er Pathos und Kitsch dem sterilen High-Fi- Sound der Musikindustrie bei weitem vor. Politisch eckte er gerne an, er haßte Reagan, engagierte sich für Israel, für die amerikanischen Komponisten, für die Schwarzen und die Charta '77. Weihnachten'89, zum Fall der Mauer, dichtete er Beethovens „Ode an die Freude“ in „Freiheit, schöner Götterfunken“ um, seitdem sind ihm auch die Berliner verfallen. Immer machte er alles ein bißchen zuviel, und dafür liebten wir ihn. Aber vielleicht hat ihn deshalb sein Herz viel zu früh im Stich gelassen: Am Sonntag starb der 72jährige in New York. Foto: ap

NACHRUF AUF SEITE 9