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Raus, rein — und dann wieder in derselben Scheiße!

■ Offener Brief an die Moabiter Gefangenen zum Hungerstreik für Amnestie

Es ist frustrierend, über eine Aktion, die in Moabit laufen soll, durch die Zeitung vermittelt zu bekommen; frustrierend deswegen, weil ich noch in Moabit sitze.

Genausowenig bin ich (es gibt viele, die nicht Bescheid wissen) über die Inhalte und Forderungen informiert. Im Haus II brodelt die Gerüchteküche. Wieso habt ihr nicht eure Mitgefangenen informiert, wieso habt ihr kein Flugblatt verteilt, damit viele Gefangene über die Aktion und Inhalt informiert werden, um ihre Vorstellungen mit einbringen zu können? Dies wäre das mindeste gewesen, um Eure Aktion zu vermitteln, um Solidarität und Unterstützung zu bekommen.

Aus all den Gerüchten, die mir zu Ohren gekommen sind, tauchte immer wieder die leidige Amnestiedebatte auf. Ich denke, daß wird bei euch die zentrale Forderung sein. Meine Überzeugung dazu ist, die Forderung nach einer Amnestie als Ansatz und Ziel der Aktion ist völlig beschissen, wenn nicht gleichzeitig Forderungen erhoben werden, die die unmenschlichen Haftbedingungen in Moabit zum Inhalt haben.

Eine Aktion in Gang zu setzen und mit solchen lächerlichen Forderungen zu kämpfen, heißt die Mobilität und Bereitschaft der Gefangenen verpuffen zu lassen. Wieso wurden nicht die inhaltlichen Ansätze beim letzten großen Hungerstreik (Februar/April) weiterformuliert und als Ausgangsidiskussion benutzt? Wir haben damals nicht zu kämpfen begonnen, um Monate später mit einer idiotischen Amnestieforderung endgültig zu scheitern. Spontan fallen mir Forderungen ein wie:

—Entkriminalisierung drogenabhängiger Menschen und Kleinstdealer,

—sofortige Entlassung haftunfähiger und HIV-positiver Gefangener,

—offener Vollzug als Regelvollzug (als Teilerfolg zur Überwindung von Knästen und Psychiatrien),

—Sozialprogramm für entlassene Gefangene (zum Beispiel Arbeit/ Wohnung),

—Aufhebung der Geschlechtertrennung in den Knästen,

—Abschaffung jeglicher Formen von Isolationshaft, von Bunkerzellen und Trakten,

—selbstbestimmte Gefangenengruppen beziehungsweise Kollektive für politische wie soziale Gefangene,

—Sozialversicherung und leistungsgerechte Bezahlung für arbeitende Gefangene,

—freie Arztwahl,

—Abschaffung von lebenslangen Strafen und der sogenannten Sicherheitsverwahrung,

—Abschaffung des Gesetzes der sogenannten allgemeinen Sicherheit und Ordnung,

—Abschaffung des Paragraphen 129a, aller politischen Repressionsgesetze,

—Begrenzung von Haftstrafen auf maximal fünf Jahre,

—Begrenzung von Untersuchungshaft auf maximal drei Monate (ohne eventuelle Verlängerung) und so weiter.

Was für einen Sinn hat eine eventuelle Amnestie, wenn der größte Teil der Gefangenen sowieso nach ein paar Monaten wieder im Knast verschwindet und mit denselben Haftbedingungen konfrontiert wird? Das Schweinesystem läßt euch raus und sammelt euch später wieder ein, und ihr hängt dann wieder in derselben Scheiße, ohne daß sich die Grundlagen des Lebens im Knast verändert hätten.

Nicht daß ihr denkt, ich wäre gegen euren Hungerstreik. Mich stört nur die ausschließliche Amnestieforderung, die ich für absolut ungenügend und als in der Substanz nichts verändernd betrachte!

Diesen Brief habe ich geschrieben, weil ich keine Gelegenheit habe, mit euch in Verbindung zu treten, ihr mir auch nicht bekannt seid, außerdem werde ich am Montag aus Moabit verlegt werden. Einem Hungerstreik mich anzuschließen, ohne daß ich weiß, um was es geht, tue ich nicht.

Ich hoffe, daß der eine oder andere diesen Brief lesen und sich darüber Gedanken machen wird, Knastkämpfe werden realitätsverändernd wenn die Gleichzeitigkeit des Kampfes aus allen Knästen realisiert ist; aus diesem Grund müssen Forderungen allgemeiner Substanz sein. Das Ziel des Knastkampfes kann nur die Überwindung und Zerschlagung des Knast-/Psychiatrieunwesens sein. Eine Amnestie bringt uns diesem Ziel nicht näher. Ein ehemaliger Moabiter

Knackie

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